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Gedanken zu einem Ausflug nach Florenz und Verona

Akademie, Michelangelo, Findelhaus, Brunelleschi, Palazzo Medici Riccardi, Palazzo Vecchio, San Zeno, Mantegna

„Wovon  soll ich berichten – von der Vielfalt des Volkes, vom Glanz der  Gebäude, vom Schmuck der Kirchen, von der unglaublichen und wunderbaren  Reinheit der ganzen Stadt? Wirklich, alle Dinge sind mit einer  einzigartigen und vortrefflichen Schönheit verziert (…).“ Vor exakt 617  Jahren beschrieb der Humanist Leonardo Bruni Florenz mit diesen Worten.  Sie sind immer noch gültig. 


An heißen Juli tagen im sehr eigenartigen Sommer des Jahres 2020 besuche  auch ich einmal wieder die berühmte Stadt am Arno und lerne sie in einer  ganz besonderen und neuen Weise kennen. Corona bedingt ist vieles  anders als man es kennt. Wo sich sonst Besuchermassen drängen, ist es  angenehm leer. Ohne Eile gestaltet sich der Besuch beim wohl  berühmtesten Mann der Welt, über den bereits Giorgio Vasari geschrieben  hat: „Wundervoll gebildet ist die Außenlinie der Beine und auch der  Übergang zu den Hüften scheint von göttlichem Reiz zu sein. Noch hat man  je in einer Haltung soviel weiche Anmut dargestellt. Im entzückenden  Einklang sind Kopf und Hände und alle Glieder mit dem ganzen Körper  verbunden. Und wahrlich! Wer dieses Werk geschaut hat, den sollte es  nicht mehr nach irgend einem anderen Bildwerke verlangen (…).“

Auch nach 500 Jahren gibt sich der David gelassen und unbeeindruckt von  seinen Besuchern, die sich ihm zur Zeit nur mit Maske nähern dürfen. Die  soziologische Frage, ob auch der Betrachter Einfluss auf den  Betrachteten hat, erweist sich in diesem Fall als irrelevant.

Ästhetische Form und erzählender Inhalt sind bei der Gestaltung dieser  Figur in perfekter Weise ausbalanciert. Äußerlich thematisiert  Michelangelo den Zustand der Adoleszenz. Das Heranwachsen, den Moment  zwischen Jugend und Erwachsensein, verdeutlicht der Künstler mit all der  Energie die dazu gehört. Selten wurde in der Bildhauerkunst  Transitorisches, ein Augenblick des nicht mehr und des noch nicht, so überzeugend dargestellt.

Jedoch nicht nur formal, sondern auch inhaltlich erzählt die Statue von  diesem Thema. Anders als seine Vorgänger, wie beispielsweise Verrocchio  oder Donatello, stellt Michelangelo seinen jugendlichen Helden nicht als  überlegenen Sieger dar. Vielmehr zeigt er den so spannungsgeladenen wie  entscheidenden Moment der Konzentration auf den alles entscheidenden  Wurf. Klugheit und Kalkül werden über physische Körperkraft siegen. Im  Moment davor vermag der Künstler dies bereits anzudeuten.

Dass  die Qualität der Bildhauerei eben nicht vornehmlich durch körperlich  anstrengende Handwerkskunst, sondern auch durch geistige Tätigkeit  entsteht, hat Michelangelo selbst in einem seiner Gedichte beschrieben:

Es kann der beste Künstler nichts erdenken,
Was nicht der Marmor schon in sich enthielt,
Und der allein erreicht, worauf er zielt,
Dem Geist und Sinne seine Hände lenken.


Niemand  sonst als die fulminanten Sklaven der Florentiner Akademie könnten  diesen Gedanken besser und schöner vor Augen führen. Stets scheint es,  als würden sie sich mit Hilfe Michelangelos aus dem Stein herauskämpfen.  Nicht rundherum vom Groben ins Feine, sondern von vorne nach hinten,  befreit der Bildhauer die gewaltigen Männer aus ihren steinernen  Käfigen. Non finito lautet der Begriff für das Prinzip des Unfertigen in Michelangelos  Oeuvre. Sicherlich nur sehr unvollständig könnte es mit der Tatsache  erklärt werden, dass das Grabmal, für das die Sklaven ursprünglich  geplant waren, in seiner ursprünglichen Form nicht zustande gekommen  ist. Papst Julius II. entschied sich für eine schlichtere Version seiner  letzten Ruhestätte und schickte seinen damaligen Lieblingskünstler  stattdessen unter die Decke der Sixtinischen Kapelle, um diese mit  Fresken auszustatten.

Nach einem kleinen Spaziergang in flirrender Hitze erreichen wir das  Findelhaus, das Filippo Brunelleschi zu Beginn des 15. Jahrhunderts  zart, elegant und anmutig auf diesen Platz gestellt hat. Elternlose oder  ungewollte Kinder konnten hier diskret in Fürsorge gegeben werden.  Leise, streng und bezaubernd gibt dieses Haus als erster Bau der  Frührenaissance bereits eine Ahnung von der architektonischen Schönheit,  die in der kommenden Zeit noch entstehen wird.

Ein  paar Straßen weiter ist die Prachtentfaltung der Medici bereits in  vollem Gange. Wuchtig und überwältigend gibt sich die äußere Erscheinung  des Palazzo Medici Riccardi. Umso erstaunter ist man jedes Mal wieder  beim Blick in den feinen, kühlen und intim anmutenden Innenhof.

Schwierig sind diesmal die Einlassbedingungen. Neben der zunehmend  unangenehm wärmenden Maske müssen auch noch die Füße in blaue  Plastiktüten verpackt werden. Süffisant und leicht herablassend ob  meiner Aufmachung scheint mir der Blick des mit ausgesucht prächtiger  Eleganz gekleideten Reiters aus dem Festzug der Hl. Drei Könige. Benozzo  Gozzoli hatte 1459 von der Familie den Auftrag erhalten in der Kapelle  des Palazzo die Pracht und Überlegenheit der Medici in eine  farbgewaltige und luxuriöse Bildsprache zu verwandeln. Rundherum an den  Wänden des kleinen Raumes ziehen seit nunmehr fast 600 Jahren die Hl.  Drei Könige mit ihrem Gefolge.

Uns zieht es zurück auf die abendlich angenehm warmen Straßen der Stadt  über denen der Himmel leuchtet, „wie er in Florenz leuchten muss.“ Paul  Klee schrieb diesen schlichten wie großartigen Satz mit dem Zusatz: „Ich  fühle mich ganz.“ Genau so ist es.

Die Piazza della Signoria, die so erstaunlich leer ist, dass man sich  fast nicht traut, diese Leere mit der eigenen Überquerung zu stören,  wird vom goldenen Abendlicht überflutet. Der kopierte David darf seinen  bezaubernden Schatten an die Wand des Palazzo Vecchio malen. „Ob ich Dir  ein Bild von Florenz damit gebe – weiß ich nicht; denn ich bringe Dir  nur das, was ich mir ganz eigen weiß.“ Ich schließe mich Rilke an und  nehme mit diesen Worten Abschied von Florenz.


Auf  der Rückreise steht noch ein kleiner Zwischenaufenthalt in Verona an.  Würdig und mit entsprechender Distanz zur Stadt steht dort die Kirche  San Zeno mit ihren über die Jahrhunderte hinweg angesammelten Schätzen.  Einer davon hat es mir besonders angetan. Andrea Mantegna, der große  Neuerer der Malerei des 15. Jahrhunderts hat hier 1459 (im gleichen Jahr  hat Gozzoli seine fürstlichen Reiter gemalt) ein grandioses Beweisstück  seines Könnens geliefert. Es ist das einzige Altarbild des Künstlers,  das sich noch an seinem ursprünglichen Aufstellungsort befindet. Formal  handelt es sich um eine sogenannte sacra conversazione. Der Bildtyp der thronenden Maria mit Kind flankiert von Heiligen, ist eine Erfindung dieser Zeit.


Genauestens  hat Mantegna die Lichtverhältnisse studiert. Real- und Bildraum sind  illusionistisch miteinander verknüpft. Um die Täuschung perfekt zu  machen, schlingt er üppige, von verwirrender Echtheit gemalte  Fruchtgirlanden zwischen die geschnitzten vergoldeten Säulen. Nur  äußerlich verleihen sie dem Gemälde die Form eines Triptychons. In  Wahrheit dehnt der Bildraum sich dahinter in perfekter Illusion über  sämtliche Rahmengrenzen hinweg aus.


In  der Mitte sitzt die jugendlich schöne Maria mit dem Jesuskind. Sie hält  ihren Sohn, nur mit einer Hand am Füßchen gestützt, eng an ihre Brust  gedrückt. Von berückender Melancholie ist das Antlitz. Zu ihren Häuptern  tanzen in einem ebenfalls gemalten Relief kleine, steinerne Putten in  donatellohafter Manier. Deren nicht minder lebendige Geschwister sitzend  muszierend der Madonna zu Füßen. Sichtlich schwer fällt es ihnen, sich  in die gesitteten Rahmenbedingungen zu fügen.


Äußerlich  von den geschnitzten Säulen getrennt, durch den dahinterliegenden Raum  jedoch mit der Mittelgruppe verbunden, befindet sich links und rechts  jeweils eine Gruppe von würdigen männlichen Heiligenfiguren.


Wie  ein flammendes Plädoyer für die Möglichkeiten der Malerei und ihrer  daraus resultierenden Vorrangstellung wirkt dieses Gemälde. Oberflächen,  Licht, Perspektive, Landschaft, Architektur sowie die menschliche Figur  in allen Erscheinungsformen werden in einer so überzeugenden Weise  dargestellt, dass man diesen Ort nur schweren Herzens wieder verlässt.


Ci vediamo!


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