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Gedanken zu einer Reise nach Rom

Galleria Doria Pamphilij, Galleria Borghese, Vatikanische Museen, Palazzo Barberini, Villa Farnesina

„O, wie fühl' ich in Rom mich so froh! gedenk' ich der Zeiten,

Da mich ein graulicher Tag hinten im Norden umfing (...)

Nun umleuchtet der Glanz des helleren Aethers die Stirne;

Phöbus rufet, der Gott, Formen und Farben hervor.

Sternhell glänzet die Nacht, sie klingt von weichen Gesängen,

Und mir leuchtet der Mond heller als nordischer Tag.“

 

Auch um einigen persönlichen Wirrungen in seiner nördlichen Heimat zu entfliehen, trat Goethe 1786 im Herbst seine berühmte italienische Reise an. Eine Fahrt gen Süden zum Zwecke der Ablenkung von der Unbill des Alltags funktioniert im Frühjahr 2022 immer noch. Jenes andere Licht, das seit Generationen all jene bewundern, die es schon einmal zu Gesicht bekommen haben, hat größtes Suchtpotential. Verlässlich bewirkt es, dass man sich dem eigenen Menschsein ein Stück näher fühlt.

 

Bei Frühlingswetter, das den Sommer bereits in sich trägt und das es so nur in Rom zu geben scheint, lassen wir unseren Kunstreigen in der Galleria Doria Pampilij beginnen. Im größten noch bewohnten Palazzo Roms, der sich bis heute in Familienbesitz befindet, ist eine der atemnehmendsten Kunstsammlungen zu finden. Die crème de la crème nicht nur italienischer Künstler versammelt sich hier: Raffael, Lorenzo Lotto, Parmigianino, Tintoretto, Velazquez, Memling, Jan van Scorel, Caravaggio, Jan Brueghel d. Ä., Annibale Carracci, Domenichino, Guercino, Jusepe de Ribera, Claude Lorrain, Poussin, Gaspar van Wittel…

Hinter dicken Mauern liegt der für italienische Palazzi so charakteristische kleine Innenhof vornehm verborgen. Prunkvoll gibt sich der Palasteingang mit der mächtigen Treppe, die es emporzusteigen gilt. Schon im ersten Raum regiert überbordende Kunstfülle. So weit das Auge reicht, schmiegen sich die üppigen Goldrahmen mit ihren kostbaren Inhalten aneinander.

 

Die zauberhaften, von winzigen Tieren bevölkerten Paradieslandschaften Jan Brueghels hängen dicht neben Annibale Caraccis Maria und Joseph, die in der zart verblauenden Ideallandschaft Zuflucht vor ihren Verfolgern suchen. Papst Innozenz X. lässt sich auch nahezu 400 Jahre nach seiner Amtszeit nicht in die Karten schauen. Argwöhnisch blickt der von Velazquez so meisterhaft auf die Leinwand gebannte Kirchenfürst dem Betrachter entgegen.

 

Mag auch in der ewigen Stadt bisweilen die Zeit stillstehen, in der Galleria sind einige Veränderungen seit meinem letzten Besuch von Statten gegangen. Die drei weltberühmten Gemälde Caravaggios befinden sich nicht mehr im Antikensaal, sondern haben einen eigenen Raum erhalten. Wirklich nur einem römischen Museum verzeiht man, dass diese drei Hochkaräter offensichtlich ohne Wasserwaage an die Wand gehängt wurden. Der büßenden Magdalena, der bereits im 17. Jahrhundert vorgeworfen wurde, sie würde eher einem römischen Mädchen gleichen, das sich die Haare trocknet als einer Heiligen, scheint jenes großzügige Augenmaß egal. Auch der jugendlich kecke Johannes ist mehr mit der Liebkosung seines Widders beschäftigt als mit einer exakten Positionierung an der Wand.

Lediglich dem rotwangig so tief und fest schlafenden Jesuskind im Arm seiner erschöpften Mutter, dem schon der musizierende Engel zusetzt, hätte man etwas weniger Sprezzatura dafür mehr harmonische Ausgeglichenheit bei der Hängung gewünscht.

Wir schlendern zurück auf die dicht gedrängten Straßen, lassen uns treiben, treffen Caravaggio aller Orten, kommen nicht los von ihm, diesem Giganten der Kunstgeschichte, der uns jedes Mal wieder überwältigt mit seinen skandalösen Bildern, in denen er das Heilige rigoros seiner Heiligkeit beraubt.

 

In San Luigi dei Francesi beginnt Caravaggio mit einem Paukenschlag, der Öffentlichkeit seine neue Art von Kunst zu präsentieren. Ein aus einem Haufen Zöllner ausgewählter Evangelist Matthäus, der nur mit Mühe die ihm vom Engel diktierten Worte zu schreiben vermag, ist aber nur der Anfang. Ein paar Straßen weiter offenbart Caravaggio in der Kirche Santa Maria del Popolo die überzeugendste Version der Überwindung des Manierismus, welcher in seiner Künstlichkeit die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts allumfassend dominiert hatte. Brutal wischt Caravaggio diesen vom Tisch. Bei ihm ist kein Platz für raffinierte Eleganz, feingliedrige Wesen, hochartifizielle Hintergründe oder kompositorische Distanz. Seine Betrachter zerrt er mitten ins Geschehen. Seinen Protagonisten gesteht er keine Ausweichmöglichkeiten zu.

 

Das Pferd, von dem Saulus, vom göttlichen Funken getroffen, gestürzt ist, erhält nicht einmal genügend Platz, um alle vier Hufe auf dem Boden abzustellen. Auf der anderen Kapellenwand blicken wir in das alte Gesicht Petri, dessen Angst vor dem bevorstehenden quälenden Martyrium nichts Überirdisches in sich trägt. Wir sehen welch brachiale Gewalt nötig ist, ein Holzkreuz mit einem Menschen daran in die Höhe zu stemmen. Die Schergen tun ihre Pflicht, eine Pflicht, die sie hässlich macht und ihrer Individualität beraubt. Mehr als ein zerfurchtes Antlitz oder schmutzig gelbe Hinterteile hat Caravaggio für dieses Klientel nicht übrig. Abfällig streckt er uns ihre dreckigen Fußsohlen entgegen.

 

Der Irrtum, Caravaggio für einen reinen Realisten zu halten, wurde oft begangen. Dabei steckt hinter der so offensichtlichen physischen Gewalt künstlerische Strategie. So ist das Kreuz, an das Petrus genagelt wird, zwar so positioniert, dass es in seiner Gestalt nicht sichtbar wird, dennoch ist die Komposition von einer Kreuzesform geprägt: Sie wird aus den Menschen gebildet, eindringlich unterstrichen vom düsteren Farbvierklang Gelb/Rot/Grün/Blau.

 

Wie ein jubilierender Gegenentwurf zu Caravaggios Radikalität wirkt der Blick in den Himmel der Kirche Sant‘ Ignazio. Hier feiert Andrea del Pozzo nicht nur die Apotheose des Hl. Ignatius von Loyola, sondern vor allem die technischen Möglichkeiten der barocken Deckenmalerei. Nie kann ich dieses Fresko betrachten ohne mir vorzustellen welch Tosen die Engelsscharen auslösten, würden sie sich nur ein einziges Mal von der Decke gänzlich lösen. Der Platz vor dieser Kirche ist einer der hübschesten von ganz Rom. Unerwartet entzückt er seine Besucher, die ahnungslos durch das Gewirr kleiner dunkler Gassen sich hier plötzlich von zarten Barockbauten umgeben sehen.

Wir spazieren weiter zum Kapitol, bewundern Michelangelos Klarsicht hinsichtlich der Platzgestaltung und bestaunen von oben das Forum Romanum, dessen respekteinflößendes Gebaren sich von der Aussichtsplattform viel besser erschließt als direkt innerhalb dieser berühmtesten aller Ruinenlandschaften.

Der Besuch der Vatikanischen Museen steht am nächsten Tag auf dem Programm. Nur im Vorbeigehen grüßen uns die mächtigen Kolonnaden Berninis vom Petersplatz. Wie zwei weit zur Umarmung ausgebreitete Arme hat der Lieblingskünstler des 17. Jahrhunderts diese mächtigen Säulenumgänge um den berühmtesten Platz der Welt geschlungen. Überraschend gut organisiert gestaltet sich das Einlassprocedere bevor uns in den Gängen vor der Sixtina die Massen überrollen. Der einzige Unterschied zur Präcoronaära sind glücklicherweise die Masken in den Gesichtern. Ein latentes Unwohlsein bleibt.