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Gedanken zu einem Besuch der Frankfurter Ausstellungen „Rubens. Kraft der Verwandlung“ und „Basquiat. Boom for real“

Barock und Pop, High and Low, Kunst und Kitsch – nichts scheint im Moment die (Kunst)welt so sehr zu faszinieren wie die Zusammenführung von scheinbar unvereinbaren Gegensätzen. Der letzte große Coup dieser Art fand vergangenes Jahr in den großen Flagshipstores einer der berühmtesten Luxustaschenfirmen statt, als Jeff Koons neben anderen weltberühmten Meisterwerken auch Rubens’ dynamische Jagdszenen auf den vinylgetränkten Canvas prägen ließ.

Gesellte sich Rubens im Sommer 2017 zu Jeff Koons, kann man den Barockkünstler in Frankfurt noch bis Ende Mai 2018 in einer ähnlich ungewohnten Gesellschaft bewundern. In den beiden großen Kunstinstitutionen der Mainmetropole werden gerade zwei sehr unterschiedliche Künstler mit den fulminanten Einzelausstellungen „Rubens. Kraft der Verwandlung“ und „Boom for real“ gefeiert: Peter Paul Rubens (1577-1640), der barocke Virtuose par excellence, im Städelmuseum und Jean-Michel Basquiat (1960-1988), das enfant terrible der 1980er Jahre, in der Schirn.

Es ist ein Gipfeltreffen der besonderen Art: vielsprachig, belesen, multibegabt, schnell, neugierig und mit einem selbstbewussten Ehrgeiz ausgestattet waren sowohl Rubens als auch Basquiat. Über ein untrügliches Gespür für den Geist ihrer Zeit verfügten ebenfalls beide: Der eine war ein höfisch gebildeter, versierter Maler und hochgeschätzter Diplomat, der sich das Beste, was die Kunst zu bieten hatte, zum Vorbild nahm und den Ehrgeiz hatte es noch zu übertreffen. Der andere arbeitete sich durch Mut, Talent und selbstbewusste Nonchalance zum Liebling der amerikanischen Kunstszene hoch.

In die Wiege gelegt war beiden dieser Weg nicht. Rubens stammte aus einer angesehenen Familie und durchlief eine exzellente, auf eine höfische Laufbahn hin ausgerichtete Ausbildung. Basquiat hingegen stammte aus schwierigen Verhältnissen und kam über die Musik- und Grafittiszene zur Kunst.

Beide Ausstellungen zeichnen klug, offen und behutsam die Wege zu ihren jeweiligen Fragestellungen nach: aus welcher Intention heraus geschah die Anverwandlung der Formen bei Rubens, wie ging dieser Prozess vonstatten und welche Form erschien ihm überhaupt als vorbildhaft?

Imitatio et aemulatio sind die Schlagworte, die die Kunsttheorie jener Zeit vorgab. Weniger die große künstlerische Innovation als das intelligente, um die Vergangenheit wissende und sich daran messende Kunstschaffen stand hoch im Kurs. Der gebildete, gereiste Künstler, der gleich einer Biene umherschwirrt, sich nur der schönsten Blüten bedient und daraus den edelsten Kunstnektar bereitet, ist eine Metapher jener Zeit für ein ideales, künstlerisches Vorgehen. Allein schon die Selektion seiner Vorbilder zeugt von der Begabung des Künstlers. Rubens beherrschte diese Fähigkeit meisterhaft. Nur die Größten wählte er aus: den antiken Bildhauer, der ein Meisterwerk wie den Torso vom Belvedere geschaffen hatte, oder Tizian, den Farbvirtuosen, von dem er lernte die marmorne Schönheit antiker Statuen in schimmerndes Inkarnat zu verwandeln.

Eingängig hatte er das Gemälde „Venus und Adonis“ seines Renaissance-Kollegen studiert. Rubens wäre nun aber kein Kind seiner Zeit, wenn er es nur bei einer bloßen Kopie der verzweifelten Venus belassen würde, die trotz all ihrer Liebe und Schönheit es nicht vermag, ihren Geliebten von der Tod bringenden Jagd abzuhalten. Um 1630 entsteht Rubens’ Sichtweise auf diese tragische Liebesgeschichte. Lässt der Rückenakt von Tizian die Schönheit der Venus nur erahnen, so hat Rubens das Liebespaar einmal um 180 Grad gedreht. Die gesamte Dramatik der Szenerie wird dem Betrachter auf diese Weise dynamisch vor Augen geführt. Mit solch flehentlicher Inständigkeit sieht die Göttin ihren sterblichen Geliebten an, dass dieser sogar den Blick abwenden muss, um nicht schwach zu werden. Unentschlossen steht er in höchster Versuchung ihren entblößten Oberschenkel berühren zu wollen und damit ihren Bitten nachzugeben. Der kleine Amor, der sich, tatkräftig seine Mutter unterstützend, in kindlichem Ungestüm ans Bein des Fortstrebenden klammert, ist eines der schönsten Beispiele barocker Handfestigkeit. Auf unterschiedlichen Ebenen ist das sinnliche Berühren Ausdruck des Erzählinhaltes, dem sich der Betrachter auch fast 400 Jahre später nicht zu entziehen vermag.

Menschlich, intensiv und real nähert sich auch die Schirn ihrem Protagonisten. Stringent, trotz der Fülle an künstlerischem Material, kann der Besucher die Zusammenhänge der Entwicklung des charismatischen, hochproduktiven „Wunderkindes“ Jean-Michel Basquiat nachvollziehen ohne bei seiner Betrachtung methodisch bevormundet zu werden.

Von der unbändigen Energie und dem unstillbaren Drang sich künstlerisch auszudrücken, sei es im Grafitto oder in postkartengroßen Kollagen, zeugen die frühen Arbeiten Basquiats. Es passiert sehr schnell sehr viel in diesem kurzen Leben, das in einmaliger Weise auch die gesellschaftspolitischen Umstände der Zeit widerspiegelt.

Ein untrügliches Gespür hatte Basquiat für besondere Menschen und baute früh ein fulminantes Netzwerk auf. Als schwarzer Künstler avancierte er so zum Liebling der Kunstszene und flog mit der Concorde um die Welt. Der allgegenwärtige und alltägliche  Rassismus hingegen führte dazu, dass Basquiat wegen seiner Hautfarbe in New York  häufig kein Taxi bekam.

Das Leben zwischen solch extremen Polen drückte Basquiat mit unnachahmlicher Eindringlichkeit in seinen Werken aus. Superlative prägten sowohl zu seinen Lebzeiten als auch nach seinem Tod die Rezeption seiner Werke: Er war der jüngste documenta-Künstler aller Zeiten und der erste zeitgenössische Künstler, dessen Gemälde im Mai 2017 die 100 Millionen Dollar Grenze bei einer Auktion sprengte. Drogen in hohem Maße waren Basquiats Gegenmittel gewesen um diesen Zwiespalt ertragen zu können. Letztendlich brachten sie ihm mit 27 Jahren den Tod.

Es wäre vermessen zu behaupten, dass man nach einem Besuch der Ausstellung Basquiat verstehen könne. Eine Annäherung ist möglich, wobei der Betrachter sich auch einer gewissen Überforderung stellen muss, da viele der Werke einen ungefilterten Blick in die Gedankenwelt des Künstlers darstellen. Es ist eine Explosion von Eindrücken und Versatzstücken aus Geschichte, Literatur, Musik, Philosophie und Kunstgeschichte neben täglich Erlebtem. Die Arbeiten wirken wie ein optisches Simultangeräusch seiner subjektiven Weltwahrnehmung.

Und doch gibt es ein Bild in dieser Ausstellung, vor dem man intuitiv inne hält. Es ist sein schwarzes Selbstporträt. Die Augen sind nur zwei kleine weiße Schlitze. Sein Markenzeichen, die Krone, die überall und nirgends in seinem Oeuvre zu finden ist, ersetzen diesmal die eigenen ikonischen Haarsträhnen. Reduziert, konzentriert, als wäre alle Farbe überflüssig. Es geht um das Schwarzsein an sich.

Ein Selbstporträt gibt es auch jenseits des anderen Mainufers. Überlegen, ohne arrogant zu sein, blickt Rubens ein bisschen müde aber dennoch interessiert auf seine Betrachter herab.

 

Beide geben sie ihrer Zeit ein Bild von sich: Rubens, der seinen barocken Überschwang stets mit höflicher Disziplin bändigte, Basquiat, der die auf ihn einstürmende Überfülle knallend wieder nach außen warf.

Und so gilt gerade in Hinblick auf diese beiden großen Ausstellungen in Frankfurt der kluge Satz: Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit.

www.staedelmuseum.de

www.schirn.de

Ausst. Kat.: Rubens. Kraft der Verwandlung. München 2017.

Nils Büttner: Rubens. München 2007.

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