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Gedanken zu Alicja Kwades Ausstellung „Kausalkonsequenz“

In der Langen Foundation

„Aber was die Schönheit ist, das weiß ich nicht“ konstatierte Albrecht Dürer nach langer künstlerischer Suche. WAS sie ist, das weiß auch ich nicht. WO bis Ende April 2021 jedoch eine äußerst kluge und zeitgemäße Version von ihr zu sehen ist, kann ich sagen. Denn dieser bin ich in der sehr besonderen Einzelausstellung „Kausalkonsequenz“ der Künstlerin Alicja Kwade in der Langen Foundation begegnet.

Wo früher die NATO ein Basislager unterhielt, um Raketensprengköpfe zu lagern, hat heute die Kunst das Regiment übernommen. Inmitten der schlichten niederrheinischen Landschaft liegt fernab vom großstädtischen Kunstbetrieb in klarer Strenge der unaufgeregte Bau von Tadao Ando. Den Eingang des Ausstellungsgebäudes dominiert eine flache Wasserfläche, die die Nuancen des grauen Herbstwetters elegant zurückspiegelt. Stringent darauf bezogen sind die im Gebäude vorherrschenden Materialien Beton, Stahl und Glas.

In wohltuender Übereinstimmung zur Architektur, die das Innen und Außen so überzeugend wie unmerklich miteinander verwebt, kennzeichnet das Oeuvre der Künstlerin Alicja Kwade ebenfalls die Konsequenz ihrer klaren und reduzierten Materialwahl. Aus Holz, Spiegeln, Steinen und Metall formt sie ihre Objekte, die leise und doch beeindruckend ernste, grundsätzliche Fragen stellen. Durch die stets wiederkehrenden Werkstoffe stehen die Einzelwerke zueinander in Verbindung und sprengen durch diese Verknüpfung zeitliche und räumliche Grenzen. Jedes Kunstwerk steht für sich, ist aber zugleich auch eine Zutat zum großen Ganzen, das sich in die Räume der Langen Foundation wie ein bel composto im wahrsten Sinne des Wortes kongenial einfügt.

In jeder ihrer Arbeiten durchdenkt die Künstlerin immanent und mit ruhiger Intelligenz ihre Materialien und deren Zustandsmöglichkeiten. Behutsam buchstabiert sie das sich verändernde Wesen der Werke in den berühmten Objektreihen. Silbrig glänzende Metallreifen dürfen großzügig ihre Positionierung und Anordnung im Raum durchspielen. Einen Holzstamm begleitet Kwade bis zu seiner Möbelwerdung und liefert dem Betrachter stets eine bildhafte Zwischenbilanz dazu. Steine beraubt sie ihrer ureigensten Charaktereigenschaften wie Härte, Schwere, Kälte oder unregelmäßiger Rauheit lediglich durch das Einlassen in transparentes glattes, quaderförmig gegossenes Acryl. Die Steine verlieren dadurch all die Wesensmerkmale, die ihnen von der Natur eingeschrieben sind und schweben schwerelos und zart im Raum. Durch ihr künstlerisches Wollen verwandelt die Künstlerin die Wahrnehmung des Materials, nicht jedoch die Gegenstände selbst.

Und so gilt die vermehrte Aufmerksamkeit Kwades stets dem Rezipienten. Durch sein individuelles Empfinden entsteht in vielen Fällen sogar erst das wahre Kunstwerk. Raum und Zeit dürfen ganz eigenständig erfahren werden. Nahezu gezwungen fühlt man sich, die in ihrer glänzend polierten Glattheit unseren gegenwärtigen Schönheitssinn so ansprechenden Spiegelwände zu umschreiten. Dazwischen hat die Künstlerin unterschiedlich gestaltete und bemalte Steinbrocken, Kugeln und Schüsseln gelegt. Je nach Geschwindigkeit und subjektivem Blickwinkel geht ein Gegenstand in den anderen über und verleiht dem vorherigen wie dem nachfolgenden eine Spur der eigenen Gestalt.

 

Nicht allein das Kunstwerk oder das in seiner Funktion dem Alltag enthobene objet trouvé steht in dieser Ausstellung zur Diskussion, sondern auch der Betrachter selbst. Nicht nur seine Wahrnehmung, sondern ganz konkret auch seine physische Gestalt in ihrer örtlichen und zeitlichen Disposition bezieht die Künstlerin in die Kompositionen ein. Denn in den großzügig durchlichteten Räumen der Langen Foundation trifft man neben glänzendem Metall, zauberhaftem Türkis oder tiefblauem Lapislazuli häufig auch auf verwirrend unvermutet aufgestellte Spiegel, von denen man das eigene Bild zurückgeworfen bekommt. Darüber dreht rasant eine große Uhr am Pendel haarscharf an der Spiegelkante vorbei immerfort ihre Kreise. Kontinuierlich und unbeirrbar zählt sie die Sekunden.

Hingegen wie von Zauberhand angehalten wirken die großen und kleinen Steinkugeln, die sich über die Freitreppe ergossen haben. Vom Künstlerinnenwillen akribisch arrangiert, vermitteln sie dennoch den Anschein des leichthändig Zufälligen. Kwade wird zur wirkmächtigen Akteurin im Hintergrund, der, wie auch ihren Arbeiten, die Anstrengung nie anzumerken ist.

Kausalkonsequenz hat sie ihre Ausstellung genannt. Kausalität bezeichnet die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung; Konsequenz ist die daraus oft zwingende Folgerung. Überzeugend erscheint diese Namenswahl für eine Schau, die in ihrer – und durch ihre – Logik, Präsenz und Ästhetik nahezu zeitlos wirkt, weil Kwade in ihrer Kunst frei, konzise und diszipliniert denkt, ohne dabei jedoch ins Konzeptuelle zu verfallen. Dafür hat sie ein zu feines Gespür für eine sehr überzeugende Version der Schönheit.

www.langenfoundation.de

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