Gedanken zur Ausstellung Staedel | Frauen. Künstlerinnen zwischen Frankfurt und Paris um 1900
Ottilie Roederstein, Eugenie Bandell, Erna Auerbach, Alice Trübner
Es ist an der Zeit, dass sie ins Rampenlicht der Kunstgeschichte gerückt werden: Die talentierten Frauen, die unter erschwerten Bedingungen sich von ihrem Vorhaben nicht haben abbringen lassen, es den Männern gleich zu tun. Frauen, die ihr Kunstschaffen nicht nur als privaten Zeitvertreib verstanden, sondern als öffentlich anerkannte, adäquat bezahlte Berufskünstlerin gelten wollten. Frauen, die für sich eine angemessene Ausbildung reklamierten, um für den späteren Konkurrenzkampf auf dem Felde der Kunst gerüstet zu sein.
Nach etlichen monografischen Ausstellungen in den vergangenen Jahren, zeigte das Städel Museum in Frankfurt nun eine Ausstellung, die die Ausbildungssituation, den Werdegang und das erstaunlich rege Netzwerken zwischen Paris und Frankfurt von 26 Künstlerinnen in den Fokus stellte. Obwohl Johann Friedrich Städel, der Gründer des Museums und der zugehörigen Ausbildungsschule, bereits 1815 in seiner Stiftungsurkunde klar formuliert hatte, dass diese Lehrinstitution „ohne Unterschied des Geschlechts und der Religion“ zugänglich sein sollte, dauerte es noch weitere 54 Jahre, bis dort Schülerinnen akzeptiert wurden. Die erste Anlaufstelle vieler junger Künstlerinnen aus Deutschland waren deshalb die Damenklassen von Paris, die schnell berühmt wurden, seit 1870 die privaten Kunstakademien ihre Tore auch für Frauen geöffnet hatten. Bereits Mitte der 80er Jahre gab es ein halbes Dutzend solcher Schulen, die häufig von renommierten Künstlern geführt wurden. „Paris war zu jener Zeit die einzige Stadt der Welt, wo eine Frau ausreichend Gelegenheit fand, sich auszubilden. Dort war damals schon die Künstlerin kein Ungeheuer, keine Närrin, keine überstiegene oder ehrgeizige Abenteurerin,“ erinnerte sich eine damalige Schülerin. Jedoch entfiel auch in Paris erst nach 1900 das Prinzip der getrennten Klassen, wonach Studentinnen und Studenten nicht gemeinsam unterrichtet wurden.
Was waren die Gründe für das jahrhundertelange Fernhalten der Frauen von der Kunstszene? Sicherlich wollten sich männliche Künstler keine zusätzliche weibliche Konkurrenz heranziehen, war dieses Berufsfeld seit der Renaissance doch ohnehin schon hart umkämpft. Perfide klangen die Argumente. Weit verbreitet war das Vorurteil, wonach der weibliche Geist nicht in der Lage sei eigenständig schöpferisch zu sein. Kreativität erschien als ein genuin männliches Vermögen. Auch die Kenntnis der menschlichen Anatomie enthielt man den Frauen über Jahrhunderte hinweg vor, indem sie kategorisch vom Aktstudium ausgeschlossen wurden. Vermutlich war dieses Manöver das wirkungsstärkste. War den Künstlerinnen doch so jene grundlegende Kenntnis verwehrt, die für die prestigeträchtige figurenreiche Historienmalerei unabdingbar ist. Erst im 19. Jahrhundert begann sich die miserable Ausgangslage langsam zu wandeln. Unterschiedlich fortschrittlich entwickeln sich in den europäischen Städten die Umgestaltungen der Schulen hin zu einer Ausbildungssituation, die sich im 21. Jahrhundert so positiv zeigt, dass an den deutschen Kunstakademien der Studentinnenanteil mittlerweile überwiegt.
Aber was sind Jahreszahlen, historische Entwicklungen und Statistiken hinsichtlich all jener hochindividuellen Persönlichkeiten, von denen wir Heutigen zumindest durch die zahlreichen Selbstporträts noch eine bildhafte Ahnung erlangen können. Meist ernsthaft blicken einem diese mutigen und selbstbewussten Künstlerinnen ins Gesicht als hätten die herausfordernden Schwierigkeiten ihrer Lebenswege ihnen das sonst in der Bildniskunst obligatorische weibliche Lächeln aus den Gesichtern verbannt. Ottilie Roedersteins Blick aus stechend blauen Augen ist so forschend, dass er auch vom sommerlich weißen Hut nicht gemildert werden kann. Allein dieses Porträt lässt keinen Zweifel an der energischen Schlüsselposition, die sie in der weiblichen Kunstszene jener Zeit innehatte. Wie ihre spätere Kollegin Georgia O’Keeffe mied sie reine Künstlerinnenausstellungen, war ihre moderne Überzeugung doch, dass die Geschlechter auch auf dem Felde der Kunst absolut gleich behandelt werden sollten.
Die Aufmerksamkeit Eugenie Bandells zieht sich in ihrem Selbstporträt hingegen in eine leise Verschattung zurück. Äußerst rege im Ausstellungswesen der damaligen Zeit vertreten, verkürzte sie klug ihre Signatur (Eug. Bandell), um den Eindruck einer männlichen Urheberschaft zu erwecken. Ihr umwerfend anziehendes „Bildnis eines Jünglings vor bunter Tapete“, wie jenes charmante Werk so nüchtern wie einfallslos betitelt wird, zeugt von einer äußerst feinen Beobachtungsgabe. Man kommt nicht umhin ihr zu wünschen, dass dieser uns unbekannte junge Mann mit dem gefährlich hübschen Mund und den lasziv schweren Augenlidern für Eugenie Bandell auch einen Namen hatte.
Völlig in sich ruhend tritt die Malerin und promovierte Kunsthistorikerin Erna Auerbach ihrem Betrachterkreis gegenüber. Ihrer Erscheinung sehr bewusst, durfte sie auf großen Plakaten für die Ausstellung werben. Lässig mit Zigarette und chicem Kopftuch angetan, nimmt sie ihr Gegenüber direkt in den Blick, lässt sich aber ebenfalls wie ihre Kolleginnen zu keinem Lächeln hinreißen. Lediglich ein sanft süffisanter Zug umspielt die schmalen Lippen und korrespondiert dabei subtil mit den melancholisch klugen Augen.
Metaphorisch hingegen nimmt Alice Trübner, die Ehefrau des bekannten Wilhelm Trübner, das Bild und Dasein der Frauen ihrer Zeit zum Motiv. Unter einer Glasglocke den Blicken ausgeliefert, selbst aber all ihres Bewegungsspielraums beraubt, findet sich eine in üppig gelbe Rüschengewänder gekleidete Puppe wieder, links und rechts flankiert von mittlerweile gelöschten Kerzen. Demütig hat sie die Augenlider gesenkt, die zarten Arme sind über die Stofffülle gebreitet. Häufig hat die Künstlerin dieses nahezu surreale Motiv gewählt, um auf die Unfreiheit und Objekthaftigkeit der Frauen hinzuweisen. Ungewöhnlich und hintergründig verhandelte sie aktuelle gesellschaftliche Themen. Stets wurde Alice Trübner jedoch im Vergleich zu ihrem Mann als dessen Epigonin wahrgenommen. Wenig erforscht sind ihr kluges und vielschichtiges Werk, sowie ihr Leben, das sie selbst so spektakulär mit einem Revolverschuss beendete (angeblich aus unerwiderter Liebe zur Schauspielerin Tilla Durieux). Die Vermutung sei gestattet, dass, wäre Alice Trübner ein Mann gewesen, sie sicherlich Einzug gehalten hätte in den Kanon der Kunstgeschichte ihrer Zeit.
Reflektiert, schonungslos und kritisch richteten alle in der Ausstellung gezeigten Künstlerinnen den Blick auf ihr Umfeld und immer wieder auf sich selbst. Nur selten verirrt sich in den Reigen der ernsten und ehrgeizigen Malerinnen eine Dame im zart lila farbenen Chiffonkleid, die verträumt an einer Rosenblüte riecht. Erna, Ottilie, Eugenie, Alice und all die anderen hatten für solche Tändeleien meist keine Zeit. Ihre Hände waren anderweitig beschäftigt. Sie hielten keine Blumen, sondern Farbpalletten und Pinsel, oder vielleicht auch einmal eine Zigarette.