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Gedanken zur Ausstellung „Zeitlose Schönheit“ – Eine Geschichte des Stilllebens

In der Gemäldegalerie in Dresden

So verlockend die malerische Herausforderung seit jeher gewesen ist, für Geschichten Bilder zu erfinden, die den Erzählverlauf in dem einen auserwählten Moment auf den Punkt bringen, wohnt doch dem Stillleben ein anderer, jedoch nicht minderer Reiz inne. Erst spät wurde die Bildwürdigkeit stiller, lebloser Gegenstände und Tiere erkannt. Zwar gab es bereits in der Antike Darstellungen von Dingen und malte Jacopo de Barbari vermutlich 1504 das erste autonome Stillleben, so erhielten diese Motive doch erst während der Barockzeit eine eigenständige Relevanz.


Schwierig gestaltete sich für diese Art von Bildern, die nicht den agierenden Menschen zum Hauptmotiv haben, die Namensgebung. Nennen wir diese Gemälde Stillleben, ist im romanischen Sprachraum ein ganz anderer Begriff üblich: tote Natur, nature morte, heißen dort jene Werke, die Blumen, Gegenstände, Lebensmittel oder auch Tiere zu ihren Hauptakteuren machen. Beiden Begriffen liegt die Schwierigkeit inne, dass ihre Komposita Starrheit und Belebtheit aufeinanderprallen lassen, Eigenschaften, die sich eigentlich widersprechen. Der französische Schriftsteller Théophile Gautier bezeichnete die zwei Worte deshalb wie heulende Hunde, die sich nicht riechen können und dennoch aneinandergebunden seien. Vielleicht ist es aber gerade jener reizvolle Gegensatz bereits des Gattungsnamens, der die Bilder in ihrer Widersprüchlichkeit so faszinierend macht. In der Hierarchie der Gemäldegattungen rangieren Stillleben nach Historie, Porträt, Genre und Landschaft trotzdem an unterster Stelle. Schätzte man die Fähigkeiten des reinen Abmalens doch stets weniger als die inventio, die auf der Fantasie gründende Erfindungsgabe, die so essentiell ist, um aus Geschichten Bilder entstehen zu lassen.

Es wäre jedoch ein Irrglaube zu meinen, dass Stillleben dazu nicht im Stande wären und lediglich das Vorhandene abbildeten. Eine feine Schau in der Gemäldegalerie in Dresden mit dem charmanten Titel „Zeitlose Schönheit“ überzeugt den Besucher auf leise Art gern vom Gegenteil. Erst zögerlich gewannen Dinge an Bedeutung in einer Malerei, die, wenn auch nicht mehr nur in der Darstellung des Heiligen, so doch in der Abbildung des Menschen ihren wichtigsten Zweck sah. So werden zwei anrührende Kinderbildnisse von nördlich und südlich der Alpen noch aus dem 16. Jahrhundert stammend, erst durch die beigefügten Früchte, Tiere und Instrumente verlebendigt. Während die große Schwester im Doppelporträt von Frans Floris einen freundlichen kleinen Hund resolut unter den Arm geklemmt hat, trägt ihr Bruder sein Obstkörbchen fast widerwillig in der schmalen Hand, als hätte man es ihm noch schnell zur Dekoration gereicht. Das Tier und auch der Korb haben wohl den Zweck, die nicht kindgerechte Strenge des Bildes etwas aufzulockern. Über die rein schmückende Funktion gehen die Attribute im Knabenporträt von Agostino Carracci hingegen hinaus. Vielmehr dienen sie der Charakterisierung des Jungen. Verweist das Instrument vermutlich auf eine Begabung des Dargestellten, unterstreicht der Kirschenzwilling mit seinem Kolorit als auch der Zartheit der Geste, mit der ihn das Kind hält, die jugendliche Eleganz des Bildnisses.


Nach jenen zaghaften Anfängen, als den Dingen lediglich Nebenrollen zugewiesen wurden, erlebt das Stillleben vor allem in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts seinen großen Auftritt. Wie ein rauschendes Fest, das das Leben in all seiner üppigen genussvollen Vielfalt feiert, wirken die bisweilen auch großformatigen farbprächtigen Bilder. Besitzerstolz auf die kostbaren Köstlichkeiten, forschender Sammlertrieb oder einfach die Lust an der Luxurierung des Alltags lassen sich in fast jedem Gemälde entdecken. Rasch spezialisierten sich die Künstler auf bestimmte Gegenstände, die sie bevorzugt in ihren Gemälden abbildeten und gelangten so zu höchster handwerklicher Fertigkeit. Denn auch wenn dem Stillleben selbst zu seiner Blütezeit der Makel des reinen Abbildungscharakters anhaftete, vermögen es jene Werke bis heute noch durch eine andere Fähigkeit Staunen zu erregen. Der Ehrgeiz gerade der auf niedriger Gattungsstufe agierenden Maler lag nun darin, das Betrachterauge nicht nur zu erfreuen, sondern auch zu täuschen. Bereits in der Antike wurden jene Künstler besonders geschätzt, die es durch ihr malerisches Talent vermochten, den Betrachter in den Zustand der Verwirrung zu versetzen, ob das Gemalte nicht doch der Realität angehörte. Tausendfach erzählt wurde die Legende der beiden Maler Parrhasios und Zeuxis, die sowohl Tiere als auch Kollegen mit gemalten Trauben und einem ebenfalls gemalten Vorhang täuschen konnten. Erst Magritte wird jenem Spiel ein Ende setzen, wenn er unmissverständlich unter sein Bild einer Pfeife den Satz setzt: Das ist keine Pfeife.

Noch aber dürfen die Maler lustvoll ihr Spiel treiben, das selbst mit uns heutigen Bilderübersättigten noch gelingen kann. Täuschend echt vermag der Leidener Künstler Gerard Dou uns seine Virtuosität vor Augen zu führen. Ein kleiner Samtvorhang wurde gerade nur so weit zur Seite gezogen, dass sich der Anblick einer steinernen Nische darbietet, in der so unterschiedliche Gegenstände wie eine Taschenuhr, eine Pfeife, ein Leuchter, einige Schriftstücke, ein Buch sowie eine Sanduhr untergebracht sind. Trügerisch ist die scheinbare Beliebigkeit der Auswahl. Natürlich hat der Künstler in seinem Arrangement nichts dem Zufall überlassen. Geschickt spielt er mit dem Lichteinfall, elegant komponiert er die unterschiedlichen Oberflächen, klug erzählt er uns von den Dingen des menschlichen Lebens, die doch Lebenszeit raubende Zerstreuung sind. Denn ein Gedanke zieht sich trotz aller motivischer Vielfalt wie ein roter Faden durch die gesamte Ausstellung: Vergänglichkeit wohnt allem Irdischen inne. Auch der schönste, nur scheinbar zeitlose Fruchtkorb muss sich letztlich dem Verfall unterwerfen. Bewundern wir die üppigen Blumensträuße, die in ihrer arrangierten Künstlichkeit doch höchste Natürlichkeit vermitteln wollen, auch deshalb so sehr, weil wir wissen wie kurz ihre Schönheit nur währt? Bestaunen wir die filigranen Gegenstände und elegant glänzenden Oberflächen der feinen Gefäße, weil wir wissen wie fragil ihr Dasein in einer groben Welt sein kann? Betrachten wir die die vielen erlegten Tiere deshalb so traurig, weil deren frühere Lebendigkeit doch immer noch greifbar scheint? Die Zeit ist es, der alles Leben unausweichlich unterworfen ist.


Der Totenschädel versinnbildlicht wie kein anderes Symbol die stete Erinnerung an die begrenzte Lebensspanne. Stets mahnend und erschreckend oft ist er auf vielen der ausgestellten Werke zu sehen, ob offensichtlich im Vordergrund präsentiert oder auch heimlich versteckt hinter üppiger Blütenpracht wie bei Jan Davidsz. de Heem.  Aber nicht nur in gemalter Form findet er sich in der Ausstellung. Fabio Chigi ließ sich vom berühmten Gianlorenzo Bernini ein täuschend echtes Exemplar aus Marmor meißeln, zwei Tage nachdem er selbst zum Papst gewählt worden war. Als Mahnung die kurze verbleibende Lebenszeit sinnvoll zu nutzen, legte er den Schädel auf seinen Schreibtisch. Es ist eine rigorose, wenn auch typische Art des memento mori zu Zeiten des Barock.


Wem diese Erkenntniskultur zu drastisch ist, kann als heutiger Besucher der Ausstellung noch etwas anderes lernen. Lässt man sich entgegen der zeitgenössischen Gepflogenheiten darauf ein, dass sich die Stille der Motive auf den eigenen Betrachtungsprozess überträgt, wird man feststellen, dass auch Stillleben Geschichten von zeitloser Schönheit erzählen. Aber nur die Malerei vermag sie unvergänglich festzuhalten.


https://gemaeldegalerie.skd.museum/ausstellungen/zeitlose-schoenheit-eine-geschichte-des-stilllebens/

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