Gedanken zu einer Florentinischen Reise – Zweiter Teil
Santa Maria Novella, Uffizien, Palazzo Pitti
De mulieribus claris
„Die Frauen haben in jeder Kunst, der sie sich zuwandten, Vortreffliches erlangt.“ Hatte Giorgio Vasari dies in seinen Lebensbeschreibungen berühmter Künstler und Künstlerinnen bereits im 16. Jahrhundert festgestellt, dauerte es danach eine ganze Weile, bis diese Tatsache auch in der kunsthistorischen Gegenwart angelangt war.
Langsam jedoch werden sie entdeckt, die künstlerisch tätigen und talentierten Frauen der früheren Jahrhunderte. Jede Institution geht dabei ihren eigenen Weg: die einen kuratieren publikumswirksame Blogbusterausstellungen, andere durchforsten ihre Depots und fördern Erstaunliches zu Tage, wieder andere sammeln Gelder für die Restaurierung ausschließlich von Künstlerinnen geschaffener Kunstwerke, wie die amerikanische Advancing Women Artists (AWA) Foundation.
Ihr ist eine der spektakulärsten Neupräsentationen in Florenz zu verdanken. Vier lange Jahre dauerte die Restaurierung eines bislang vergessenen Meisterwerks der Kunstgeschichte, bis es vor Kurzem der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnte. Die autodidaktisch geschulte Nonne Plautilla Nelli hat um 1560 eine großformatige Abendmahlsdarstellung geschaffen. Ursprünglich für das Katharinenkloster entstanden, befindet sich das Gemälde heute im Museum von Santa Maria Novella.
Im großzügigen Querformat erstrahlen die stoffreichen Gewänder der Apostel in manieristischer Farbenpracht, die sich im Kontrast zum blendend weißen, sorgfältig gefalteten Tischtuch besonders wirkungsvoll abzeichnet. Mit entschlossenem Pinselduktus ging Nelli zu Werke. Die Gesten der Apostel sind lebhaft, wählt die Künstlerin doch den Moment der Ankündigung des Verrates. Dementsprechend groß ist die Aufregung unter den Männern. Die Diskussion ist in vollem Gange.
Anders jedoch als Leonardo da Vinci, macht Nelli Judas kenntlich. Jesus, an dessen Seite Johannes liebevoll ruhen darf, überreicht dem Verräter ein Stück Brot. Zudem sitzt jener separiert von den übrigen auf der anderen Tischseite und hält versteckt den Beutel mit den Silberlingen in seiner linken Hand.
Mit ausgesuchten Speisen ist die Tafel bedeckt. Das Lamm in der Mitte des Tisches wurde appetitlich angerichtet. Die kleinen Brotlaiber sind von unterschiedlicher Gestalt. Die verschieden geformten Kristallgläser funkeln durchscheinend, damit der Wein darin rubinfarben aufleuchten kann.
Sämtliche Anforderungen, die zu jener Zeit an einen Historienmaler gestellt wurden, erfüllt die Künstlerin mit Bravour: sie beherrscht die Perspektive ebenso wie die porträthaft dargestellten Gesichter, ihre Erzählweise ist kreativ und variantenreich, die Stofflichkeiten und Oberflächen der kleinen Stillleben auf dem Tisch sind naturgetreu dargestellt. Modern und kenntnisreich adaptiert Plautilla Nelli höchst individuell den vorherrschenden Stil des noch der Hochrenaissance verhafteten Manierismus. Sogar anatomische Kenntnisse beweisen die fein gezeichneten Hände mit Sehnen und Falten.
Ora pro pictora schreibt die Malerin als auffordernde Signatur selbstbewusst an den Rand des Bildes: bete für die Malerin. Vor dem Hintergrund, dass dieser Frau eine professionelle Berufsausbildung, wie sie all ihre männlichen Kollegen durchlaufen konnten, verwehrt geblieben war, darf die Leistung dieses Gemäldes noch höher eingeschätzt werden.
Bei unserem nachmittäglichen Besuch der Uffizien müssen wir die Frauen diesseits der Leinwand nicht lange suchen. In jedem Saal treten sie uns entgegen: die zeitlose Schönheit der Venus, die auch nach Millionen von Betrachtern nichts von ihrer Eleganz verloren hat; die anmutigen Madonnen, die sich so liebevoll um ihren Sohn kümmern; die strengen, juwelengeschmückten Patrizierinnen in ihren steifen Kleidern.
Anders als beim letzten Mal entdecken wir die Frauen diesmal jedoch nicht nur als Bildmotiv, sondern zunehmend auch als Kunstschaffende: die wunderbare Sofonisba Anguissola ist in einer kleinen, leicht versteckten Sonderausstellung zum Selbstporträt zu finden. Im knappen Bildausschnitt zeigt sich die 20-Jährige im schlichen dunklen Kleid mit strenger Frisur, konzentriert auf die beigegeben Zeichenutensilien. Ganz selbstverständlich teilt sie sich die Wand mit dem wilden Bernini, der jedoch mit dem Platz unter ihr Vorlieb nehmen muss.
Die bezaubernde Elisabeth Vigée-Lebrun hängt gleich gegenüber. Mit leicht geöffnetem Mund wendet sie ihr jugendlich charmantes Gesicht auffordernd dem Betrachter zu. Phantasievoll ist ihre Gewandung: über das schlichte schwarze Kleid, das nur an Kragen und Ärmelabschlüssen von weißer Spitze verziert ist, trägt sie auf Taillenhöhe eine üppig gebauschte, tiefrot schimmernde Schärpe, die sie zur Schleife gebunden hat. Vermutlich stellt das Bild auf der Staffelei, an dem sie gerade arbeitet, Marie Antoinette dar. Selbst nach der Revolution, die der Königin bekanntlich Kopf und Leben gekostet hat, war Vigée-Lebrun stolz auf ihre Stellung als ehemalige Hofmalerin.
Während Elisabeths rechte Hand im Begriff ist, den Pinsel auf die Leinwand aufzusetzen, hält die Linke geschickt eine Palette und weitere Pinsel. Subtil wiederholen die Farbspuren an den Borsten das meisterhaft austarierte koloristische Trio aus Schwarz, Weiß und Rot der Kleidung Vigée-Lebruns. Fast exotisch wirkt diese so freundlich kommunizierende Französin mit der fröhlichen Lockenfrisur im Reigen der stillen, unnahbaren Künstlerkollegen.
Ein paar Säle weiter entdecken wir eine andere, zu ihren Lebzeiten hocherfolgreiche Künstlerin des 16. Jahrhunderts. Lavinia Fontana, eine knappe Generation jünger als Sofonisba Anguissola, war eine aus Bologna stammende Malerin. Bis nach Rom drang ihr Ruf, sodass sie von Papst Clemens VIII. zusammen mit ihrer Familie in die ewige Stadt eingeladen wurde, um dort zu arbeiten.
Das Bild in den Uffizien von Fontanas Hand zeigt ein wohlbekanntes Thema: am Ostermorgen erscheint der Auferstandene Maria Magdalena, die ihn irrtümlich für den Gärtner hält. Erst als er sie beim Namen nennt, erkennt sie Jesus. Selten hat ein Künstler diese Geschichte so nachvollziehbar und menschlich erzählt wie Lavinia Fontana. Um Magdalenas Verwechslung glaubhaft zu erklären, trägt der Gottessohn in diesem Gemälde tatsächlich eine Schaufel in der Hand und einen weichen Gärtnerhut auf seinem Kopf. Schlicht ist seine Erscheinung im Kontrast zur luxuriös gekleideten Magdalena, deren Gewandung in Edelsteintönen erstrahlt. Von gestischer Eleganz ist ihr Niedersinken als sie ihr Gegenüber erkennt. Fein nuanciert leuchten die Farben des Sonnenaufgangs im Hintergrund und tauchen die gesamte Szene in ein goldenes Licht.
Bilder wie dieses strafen all jene Lügen, die den Künstlerinnen über Jahrhundert hinweg Erfindungsgeist, Erzählreichtum sowie anatomische und perspektivische Kenntnisse abgesprochen haben.
Der nächste Tag führt uns in den Palazzo Pitti. Durschreitet man die wehrhaften, abweisenden Mauern, wird das Auge reichlich belohnt.
Von überbordender Pracht ist das Interieur aus rotseidenen Wandbespannungen und üppigen, goldgerahmten Gemälden. Auch hier werden wir fündig: Wenn es so etwas wie einen weiblichen Künstlerstar der früheren Jahrhunderte gegeben hat, dann war das Artemisia Gentileschi. Anders als ihre Kolleginnen der Renaissance und des Barock, ist sie nie ganz in Vergessenheit geraten. Der Skandal eines öffentlichen Vergewaltigungsprozesses, den sie durchleiden musste, ließ die Bilder von ihrer Hand auch nach ihrem Tod nicht völlig aus den Museen und dem Gedächtnis der Öffentlichkeit verschwinden. Hatte vor allem im Zuge einer feministischen Kunstgeschichtsschreibung das gewaltsame Erlebnis häufig den interpretatorischen Blick auf ihre Bilder verstellt, werden die Gemälde Artemisias heute wieder objektiver und weniger biografisch-psychologisch betrachtet.
Am letzten Tag unserer Reise begegnen wir nun einem Hauptwerk der Künstlerin: Judith und ihre Magd Abra horchen mit angespannter Aufmerksamkeit in die Dunkelheit hinein, ob ihrer Flucht, nach der Ermordung des Tyrannen Holofernes, nichts im Wege steht. Häufig hat die Künstlerin dieses Motiv gewählt. Das Gemälde in der Galleria Palatina ist dabei vermutlich das subtilste. Denn nicht während, sondern nach der grausamen Tat erleben wir die Heldin und ihre Dienerin. Anders als in der berühmten Version in den Uffizien, spritzt hier kein Blut, kein Sterbender schreit; stattdessen herrscht zum Zerbersten angespannte Stille.
Im schmalen Hochformat rückt die Künstlerin die beiden Frauen nah an den Betrachter heran. Abra ist in Rückansicht gezeigt. Die Kleider sind aufgrund des eben stattgefundenen Gemetzels latent in Unordnung geraten. Pragmatisch stemmt sie den Korb mit dem abgeschlagenen Haupt gegen ihre Hüfte. Der grünlich fahle Kopf mit den geschlossenen Augen wirkt wie ein Gegenbild zum angespannt wachen Gesicht der Judith, die halb verdeckt wird von der vor ihr stehenden Dienerin. Mit ihrer Rechten hält Judith den Griff der Tatwaffe, die auf ihrer Schulter aufliegt. Die Locken haben sich etwas gelöst, die Augenlider sind schwer, der Mund ist vor Konzentration leicht geöffnet.
Meisterlich ist dieses Gemälde komponiert: in ihrer Spiegelbildlichkeit wird die Kooperation der beiden Frauen ausgedrückt. Das knappe Bildformat verdichtet die angespannte Ruhe und macht die Dramatik und Energie der vorangegangenen Tat überdeutlich spürbar.
Ein Bild wie dieses ausschließlich aus dem verengenden Blickwinkel einer tatsächlich erlebten Vergewaltigung der Künstlerin erklären zu wollen, wäre eine nahezu beleidigende Negierung des großen künstlerischen Talents Artemisia Gentileschis.
Wir verlassen die schönen Ausstellungsräume mit der befriedigenden Erkenntnis, dass die künstlerisch tätigen und talentierten Frauen, die es zu jeder Zeit gegeben hat, nun endlich in den großen Museen der Welt auch langsam sichtbar werden. Frauen, die es gewagt haben, mit Mut, Durchhaltevermögen, Widerstandsgeist und Stärke sich gegen eine von Männern diktierte Norm zu behaupten. Welch ein Glück! Denn, wie formulierte es der kluge Oscar Wilde so wunderbar: „Das Durchschnittliche gibt der Welt ihren Bestand, das Außergewöhnliche ihren Wert.“