top of page

Gedanken zu einer Florentinischen Reise – Erster Teil

Bargello, Santa Croce, Pazzi Kapelle

„Freu dich, Florenz, groß wie du bist,

Die Flügel schlägst du über Land und Meer.

Und durch die Hölle dringt dein Name!“

Mindestens  einen Ort auf der Welt gibt es, an dem man keinesfalls befürchten muss,  auch bei wiederholtem Besuche enttäuscht zu werden. Florenz, dieser  steinerne Frühling der Kunstgeschichte lässt das Staunen niemals enden.

Bei  unserer Ankunft ist die Stadt am Arno warm, fröhlich und laut. Nach  langen Monaten des italienischen Lockdowns wird man Zeuge einer realen  Rinascità. Selbstbewusstheit, Lebensmut und der Wille zur Innovation  sind Eigenschaften, die Florenz seit jeher auszeichnen. Hier entstand um  1420 das, was bereits Zeitgenossen als einzigartig in der  Kulturgeschichte der Menschheit ansahen und wir Heutigen als den Beginn  der Renaissance bezeichnen. In allen drei klassischen Kunstgattungen,  der Architektur, der Malerei und der Bildhauerkunst ersannen Künstler  Werke, die sich abwandten vom tradierten Formen-, und Gedankengut des  Vorhergegangenen: Brunelleschi gelang der architektonische Geniestreich  das scheinbar unlösbare Problem die Vierung des Domes durch eine Kuppel  zu schließen, die bis heute das Erkennungszeichen von Florenz ist.  Masaccio vollbrachte mit seinem berühmten Trinitätsfresko in Santa Maria  Novella zum ersten Mal das Meisterstück durch mathematische Berechnung  und malerische Mittel einer Wandfläche die perfekte Illusion von  Perspektive zu verleihen.

Donatello  schuf mit seinem Bronzedavid die erste nachantike, allansichtige,  (nahezu) lebensgroße Aktfigur. Nicht mehr an ihrem ursprünglichen  Standort im Innenhof des Medici-Palastes, sondern im Bargello, dem  heutigen Skulpturenmuseum und früheren Gerichtsgebäude von Florenz, ist  diese berühmte Figur nun zu sehen. Unter dem strengen Blick des  ebenfalls von Donatello in Marmor gehauenen Hl. Georg gebärdet sich der  nackte Junge kokett mit fast lasziver Lässigkeit. Nur mit Hut und  Lederstrümpfen angetan, zu Füßen das abgeschlagene Haupt des Riesen  Goliath, feiert dieser David seinen Sieg. Klugheit hat über reine  physische Kraft gesiegt. Viele andere Künstler haben sich dieser  Thematik ebenfalls gewidmet, aber keiner hat das mit solch  atemberaubender Verve und Provokation getan wie Donatello, dessen David  seine sinnliche Körperlichkeit so unverhohlen zur Schau stellt. Dieser  schöne, anziehende Jüngling aus Bronze wirkt wie der vor Eigensinn  triumphierende kleine Bruder des ernsthaft konzentrierten David von  Michelangelos Hand ein paar Häuser weiter.

Auch  Michelangelo ist im Bargello vertreten. Ein trunkener Bacchus zeugt von  seiner schon sehr früh vorhandenen einfallsreichen Virtuosität. Mit  gerade einmal 20 Jahren hat der Bildhauer ein humorig-zeitloses Bild von  trunkener Instabilität geschaffen. Nur mit Mühe versucht dieser nicht  ganz schlanke junge Weingott seine Balance zu halten. Ob der ihm  beigesellte, Trauben naschende kleine Faun bei diesem Unterfangen  nützlich sein kann, muss bezweifelt werden.


Wie  ein eleganter Gegenpol zur alkoholisierten Schwerfälligkeit des Bacchus  nimmt sich der so zauberhaft in die Höhe wirbelnde Merkur von  Giambologna aus. Aller Schwerkraft scheint er enthoben. Das antike  Stand-, und Spielbeinmotiv ist bis ins äußerst Mögliche getrieben. Nur  mehr einen Windhauch gesteht der Künstler diesem luftigen Wesen als  winzige Standfläche für gerade eine Zehenspitze zu. Mühelos hält diese  wache figura serpentinata ihre Balance bis in den manieristisch  überlängten Zeigefinger.


Findet  der Vergleich zwischen Michelangelo und Giambologna erst durch die  nachträglich kuratierte Nachbarschaft ihrer Werke im Museum statt, ist  der reale Wettstreit innerhalb der Florentiner Kunst des 15.  Jahrhunderts ein wichtiger Faktor der Kunstszene und häufig auch  explizit von den Auftraggebern gefördert. Als die Zunft der Geldwechsler  beschloss, das Baptisterium mit einer weiteren figürlich gestalteten  Bronzetüre zu schmücken, wurde der Auftrag nicht einfach vergeben.  Vielmehr lobte man einen Konkurrenzkampf aus, an dem sich insgesamt  sieben Bildhauer beteiligten. Von zweien sind die eingereichten  Bronzereliefs erhalten. Sowohl Ghiberti als auch Brunelleschi nahmen die  Herausforderung an, eine Probe ihres Könnens zu liefern. Bis heute  haben sich ihre beiden Meisterwerke, die die vorgegebene Thematik der  Opferung Isaaks durch seinen Vater Abraham darstellen, im Bargello  erhalten.


Ghiberti  hält sich an die schmiegsamen Formen der damals ob ihrer Eleganz und  weichen Schönlinigkeit in Florenz sehr geschätzten internationalen  Gotik. Mit ästhetischem Feingespür und narrativer Zurückhaltung erzählt  er das brutale Geschehen und fügt seine Komposition harmonisch in den  vorgegeben Vierpassrahmen ein.

Wie  anders führt Brunelleschi dem staunenden Betrachter die hochdramatische  Handlung vor Augen. Gewalttätig und von tragischer Entschlossenheit  wirkt der Griff des verzweifelten Vaters an die Kehle seines einzigen  Sohnes. Das Messer sitzt bereits am Hals des sich in Todesangst  windenden Knaben. Bruchteile von Sekunden entscheiden nun über den  Fortgang des Geschehens und so muss sogar der rettende Engel  handgreiflich werden. Kein leises Rufen, dass dies doch nur eine  Gehorsamsprobe gewesen sei, würde jetzt mehr erfolgreich sein. Der  Himmelsbote wird energisch und hält durch festes Zupacken Abraham von  der Opfertat ab. Hier entfaltet sich ein Spektrum an Handlungen und  Gefühlen von solch hoher Intensität, dass Brunelleschi keine Rücksicht  mehr auf den Rahmen nehmen kann. Einmal negiert er ihn, einmal  überschneidet er ihn rigoros, einmal muss sich das Gewand des Engels  widerwillig in die Rundung knüllen. Modern, da die überlieferten Formen  der Ästhetik radikal überwindend, einzigartig und bis dato ungesehen  entfesselt Brunelleschi in diesem Relief seine Erzählkunst auf höchstem  künstlerischem Niveau.


Wie  Ghiberti später in seinen commentarii erzählt, wurde jedoch ihm die  Siegespalme zuerkannt, sodass er, Ghiberti, die ehrenvolle Aufgabe  übertragen bekam, die neue Tür des Baptisteriums mit Szenen aus dem  Leben Christi zu schmücken.


Brunelleschi  hingegen avancierte zum umworbenen Stararchitekten der Mächtigen und  Reichen. Ein besonders eindrückliches Beispiel seines Könnens stellt die  an Santa Croce gelegene Pazzi-Kapelle dar. Sie diente den dort  ansässigen Franziskanermönchen als Kapitelsaal. Der Name geht jedoch auf  die Funktion als Grablege der Familie Pazzi zurück, die auch die  Auftraggeber dieses Baus gewesen sind. Von architektonischer Perfektion  erscheint uns bis heute die durch und durch harmonische Raumgestaltung.  Das Gebäude wurde als Ganzes gedacht. Alles steht zueinander in  Beziehung. Kein noch so kleines Detail könnte hinzugefügt oder  weggelassen werden, ohne das Gesamtbild zu stören.


Die  Fassade bereitet formal auf das Innere vor, wo nichts dem Zufall  überlassen wird. Der Raum ist vollständig durchdrungen von einer  stringenten, dem menschlichen Proportionsstreben entsprechenden,  Schlichtheit. Quadrat und Kreis, Linie und Rundung, Waagrechte und  Senkrechte, Hell und Dunkel, Säule und Wand, Volumina und Flächen,  Ornament und Schmucklosigkeit sind mit solch berückend unaufdringlicher  Überzeugungskraft austariert, dass man nicht glauben möchte, dieser Bau  sei bereits vor nahezu 600 Jahren entstanden.


Überwältigt  von diesem einzigartigen Raumerlebnis treten wir durch schwere  Klostertüren wieder in die Jetztzeit zurück auf den Platz vor der  Kirche. Noch etwas unentschlossen steht hier anlässlich der  Feierlichkeiten zum 700. Todestag Dantes eine teilweise verhüllte,  ephemere Statue des großen Dichters. Ohne viele weitere Worte zu machen,  kann ich nur sagen: Ich stimme ihm zu.


„Freu dich, Florenz, groß wie du bist,

Die Flügel schlägst du über Land und Meer.

Und durch die Hölle dringt dein Name!“


www.bargellomusei.beniculturali.it

www.santacroceopera.it

bottom of page