Gedanken zu einer Kurzreise nach Amsterdam
Rijksmuseum, Het Rembrandt Huis
Frans Hals, Vermeer, Rembrandt, Jan Steen
Wem in diesem etwas zu regnerischen Frühjahr trübsinnig zu Mute sein sollte, der fahre nach Amsterdam. Nicht allein wegen des meist etwas lässigeren Umgangs mit dem Alltag und dem Leben ganz allgemein, der den Niederländern bekanntlich nachgesagt wird, nicht wegen der glitzernden Grachten und eigenwillig schmalen Häuser, sondern wegen einer Ausstellung, die sofort ein Lächeln ins Gesicht zaubert: Im Rijksmuseum wird der Maler gezeigt, der der Kunst das Lachen beigebracht hat. Frans Hals ist der dritte im Bunde der Großmeister des Goldenen Zeitalters, der nach Rembrandt und Vermeer in diesem Museum nun mit einer grandiosen Einzelausstellung geehrt wird.
Geboren wurde er zwischen 1582 und 1584 in Antwerpen. Kurz darauf floh die Familie vor den spanischen Habsburgern nach Haarlem, wo der Künstler Zeit seines Lebens tätig war. Nach einer Lehrzeit bei dem berühmten Carel van Mander, der auch dadurch bekannt war, dass er die erste nördlich der Alpen erschienene kunsthistorische Publikation im Stil der Vitenliteratur herausbrachte, machte Frans Hals sich rasch einen Namen als gefragter Porträtist. Bilder von Menschen in all ihrer Vielfalt und Eigenart, Porträts die seitens des Erschaffers keinerlei Standesdünkel kennen, sind das Lebensthema des niederländischen Künstlers, der trotz lukrativer Aufträge mit seiner kinderreichen Familie häufig in prekären finanziellen Verhältnissen lebte.
Klug hat man sich in Amsterdam, anders als in den anderen beiden Stationen London und Berlin, dafür entschieden die Schau nicht chronologisch, sondern thematisch zu gliedern. Sie kommt ohne digitalen Firlefanz aus und ist in ihrer Stringenz informativ und ansprechend. Die Räume sind verschiedenen Themen gewidmet wie dem Lachen, der Familie, den männlichen Einzelporträts, den Gruppenporträts und den Paarbildnissen. Überall lässt das kuratorische Konzept einzig und allein den großartigen Meisterwerken den Vortritt. Wo man andernorts derzeit meint per Touchscreen, Audiospur und sonstigem technischem Zubehör die Vergangenheit in die Gegenwart zerren zu müssen, vertrauen die Ausstellungsmacher völlig zu Recht der Größe der Kunst. Einordnende Texttafeln bieten das exakt richtige Maß an Information, ohne zu langweilen oder zu überfordern. Die 50 Bilder hängen luftig mit gebührendem Anstand zueinander vor elegant dunklem Blau. Auch verzichtete man darauf Frans Hals in Bezug zu Zeitgenossen, Schülern oder Nachfolgern zu setzen. Er allein steht im Mittelpunkt und darf sich fulminant behaupten.
Die Stimmung unter den doch zahlreichen Besuchern ist dementsprechend entspannt und konzentriert. Jedoch fast ein wenig zu ernsthaft blicken die meisten von ihnen ihrem Gegenüber ins häufig lachende Antlitz. Heiter gestimmte Gesichter in der Porträtkunst muten immer noch ungewöhnlich an, weil sie so selten zu finden sind. Viele Gründe sind dafür ausschlaggebend. Wollte man doch in früheren Zeiten ernst und würdevoll der Nachwelt im Gedächtnis bleiben, mit einem Antlitz, das sich nicht einer momenthaften Laune unterworfen zeigt, so war auch häufig die Zahnqualität nicht unbedingt die beste. Lachen und Zähnezeigen kamen lediglich bei Angehörigen der niederen Stände, karikaturhaft dargestellten Alten oder zur Betonung der Bösartigkeit – man denke an die Schächer unter dem Kreuz, die häufig mit geöffnetem Mund dargestellt sind – vor. Frans Hals hingegen konnotiert es neu und versieht es mit einer positiven und nahbaren Heiterkeit, die die Gefahr der Künstlichkeit stets bravourös umschifft. Vermutlich das berühmteste Beispiel ist der verschmitzte Kavalier, der erstmals seine Wahlheimat verlassen durfte. Erst seit einigen Jahren verleiht die Wallace Collection in London ihre Schätze. Der temporäre Ortswechsel scheint den jungen Herren durchaus zu amüsieren, seine vergnügt gestimmte Fröhlichkeit lässt auch hier in Amsterdam den ganzen Saal erstrahlen. In leichter Untersicht präsentiert er sich mit seinen 26 Jahren dem Publikum äußerst selbstbewusst. Einzigartig aufwändig ist seine Kleidung gestaltet, von den angesagten Schlitzärmeln, den detailreichen Stickereien bis hin zum strahlend weißen Spitzenkragen, der so teuer wie aufwändig zu tragen war. Perfekt hinterfängt der dunkle Hut das lebhafte Antlitz des wohlhabenden Mannes. Bis heute gibt er aber das Rätsel, wer er eigentlich ist, nicht preis.
Hochinnovativ waren im 17. Jahrhundert jedoch nicht nur Hals‘ lebensnahe Gesichter, sondern auch der nahezu expressiv anmutende Pinselduktus, der vor allem an der Wende zum 20. Jahrhundert Künstler wie Max Liebermann begeisterte. Der Dynamik des Entstehungsprozesses entspricht nahezu immer auch die Art der Darstellung der gezeigten Personen. Kaum einer von ihnen verhält sich ruhig und unbewegt. Besonders eindrücklich zeigt das die intelligente Hängung von drei Männerbildnissen, die sich allesamt dem Betrachter in höchst eigenwilliger Art und Weise präsentieren. Zwei der Dargestellten lehnen lässig über der Stuhllehne, während der Dritte im Bunde seine Arme fest und alles andere als elegant vor der Brust verschränkt hält. Straff und eng spannt sich der schwere Stoff aufgrund der unüblichen Geste über seinen Oberarmen. Überhaupt ist zu beobachten, dass all die großen Gewinner des Goldenen Zeitalters, die Kaufleute oder Gildenvorsteher von ihrer Kleiderpracht, die die junge protestantisch geprägte Republik zulässt, nicht in den Schatten gestellt werden. Resolute Unternehmerinnen – Frauen hatten in den nördlichen Niederlanden soviel (wirtschaftliches) Mitspracherecht, wie sonst nirgendwo in Europa – tragen zwar knisternd schwere schwarze Seidenroben, darunter verschwindet aber ihr Elan und ihr Selbstbewusstsein nicht. Bei Frans Hals obsiegt niemals die Form über den Menschen. Ein augenscheinlich jung vermähltes reiches Paar steht nicht länger steif nebeneinander, sondern hat sich lächelnd und anschmiegsam vertraut in komfortabler Pose unter einem Baum niedergelassen. Lediglich an der Mode, die seine Protagonisten tragen, lässt sich bei Hals erkennen, welchen Standes die Dargestellten sind. Ob Kellner, Kind oder Kavalier: Geste, Haltung oder Mimik machen keinen Unterschied. Sie sind bei allen gleich und verbinden sie in ihrem allgemeingültigen Menschsein. Hals hat einem Gedanken malerisch Ausdruck verliehen, der erst viele Jahrhunderte später in den demokratischen Gesellschaften, die die Würde und Gleichheit aller Menschen postulieren, Wirklichkeit werden wird.
Natürlich kann man das Rijksmuseum nicht besuchen ohne den Zeitgenossen von Frans Hals zumindest einen kurzen Besuch abzustatten. Wir schlendern an einem vollen Topf appetitlicher Walderdbeeren des Adriaen Coorte vorbei und sehen verstohlen Jan Steens Mädchen beim Zubettgehen zu. Ihr kleines Hündchen hat sich bereits zutraulich auf dem Kopfkissen eingerollt, während sie den roten wärmenden Strumpf auszieht, dessen Band einen sanften Abdruck auf ihren hübschen Waden hinterlassen hat. Es ist eines dieser köstlichen niederländischen Bilder, das dem Betrachter alle Assoziationsfreiheiten erlaubt. Für das 19. Jahrhundert waren es anscheinend zu viele. Da malte man der jungen Frau nämlich einen keuschen Unterrock über die Beine.
Wahrhafter Höhepunkt dieser Kunstkathedrale, die als solche auch gedacht und gebaut war, ist die Ehrenhalle, wo all die nationalen Heiligtümer von Vermeer über Hals zu Steen und Rembrandt dicht gedrängt hängen. Wird andernorts peinlich darauf geachtet, keine Wertungen vorzunehmen, stets und immer politisch korrekt zu sein, gesteht man hier den unbestritten Allergrößten ihrer Zunft diesen Rang einfach zu und feiert sie mit aller Offenheit. Säkulares Altarwerk dieses Kunstheiligtums ist natürlich die Nachtwache von Rembrandt. Auch wenn sie aus Gründen der Restaurierung im Moment ihren angestammten Platz verlassen hat, ist sie doch das unangefochtene Hauptwerk nicht nur dieses Saals, sondern des ganzen Museums. Rembrandt entfaltet in diesem Bild seine gesamte Genialität. Kein starres Gruppenporträt einer Bürgerwehr stellt er vor Augen, sondern ein bis heute nicht restlos entschlüsseltes Meisterwerk virtuoser Erzählkunst und brillanter Technik. Zu einer unbestimmbaren Tageszeit – den irreführenden Titel der Nachtwache bekam dieses Gemälde erst viel später – versammeln sich die Männer, um ihrer verantwortungsvollen Aufgabe des Schutzes und der Repräsentation der Stadt Amsterdam nachzugehen. Nahezu alle der dargestellten Figuren lassen sich entziffern. Je nach Rang werden sie größer und im Vordergrund gezeigt oder eher auf die hinteren Ränge verbannt. Nur wer sich eine eigene Uniform und Waffen leisten konnte, war befugt ein ehrenvolles Mitglied zu werden. Rembrandt ließ sich dieses Werk teuer bezahlen. Es entstand im Zenit seines Ruhmes. Zwei Jahre zuvor hatte der Künstler ein prächtiges Haus erworben, das bis heute besichtigt werden kann. Hier wird der Alltag und das Lebensumfeld des Meisters lebendig: vom repräsentativen Eingangsbereich, wo er zudem als Kunsthändler tätig war über die Küche und den Wohnbereich, wo das Ehepaar auch schlief, bis zu den Ateliers, in denen zahlreiche Schüler gegen teures Lehrgeld bei ihm studieren durften. In den oberen Stockwerken bekommt man einen Eindruck von Rembrandts kostspieliger Sammelleidenschaft, die sich über Druckgrafik, exotische Tiere, Muscheln und Steine bis hin zu Häuptlingsschmuck aus Übersee und antiken Büsten erstreckte. Vermutlich war sie es verbunden mit Rembrandts undiplomatischer Art und dem mangelnden Geschäftssinn, die den ehemals so strahlenden Malerstar zu Fall brachte. Auch privat kamen nach 1640 vermehrt düstere Zeiten: Kinder und Angehörige starben, genau wie seine geliebte Frau Saskia. Bis heute erzählen vor allem die ungewöhnlichen Radierungen von der innigen Beziehung des Ehepaars. Nach der Geburt eines Kindes konnte Saskia sich nicht mehr vollständig erholen. Auf dem Krankenlager hat ihr Mann sie dargestellt, liebevoll umsorgt von einer Verwandten. Alle Pflege half jedoch nicht. Später wird Rembrandt mit seinen Hausangestellten Beziehungen und auch Kinder haben. Eine frühere Freundin hat er schändlich behandelt und sogar ins Gefängnis werfen lassen. Auch das gehört zu Rembrandt, dem großen und ernsten Menschenbeobachter unter den niederländischen Malern. In gewisser Hinsicht stellen seine Werke den Gegenpol zum heiteren Menschenfreund Frans Hals dar. Welch ein seltener kunsthistorischer Glücksfall ist das räumliche und zeitliche Aufeinandertreffen zweier Maler, die so virtuos wie facettenreich die große Bandbreite des menschlichen Charakters auszuleuchten vermochten.