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Gedanken zu einer Reise nach Florenz im Mai

Neue Sakristei/Medici Kapelle, San Lorenzo, Biblioteca Laurenziana, Casa Buonarotti, Palazzo Pitti, Uffizien
Michelangelo, Bronzino, Vasari, Cosimo I., Eleonora di Toledo

Florenz ist bis heute die Stadt der Medici. Im Jahre 2025 sind sie so präsent wie zur strahlenden Blütezeit ihrer über Jahrhunderte währenden Herrschaft. Selbstbewusst haben sie allerorten Spuren hinterlassen, bisweilen unscheinbare, meist aber prächtige und eindrückliche: Immer noch respekteinflößend steht das monumentale Reiterstandbild Cosimos I. auf der Piazza della Signoria. Gleich daneben zeigen die Uffizien das in seiner zarten Unerschrockenheit ungemein anrührende Kinderporträt der Bia Medici. Der manieristische Künstler Bronzino hatte die uneheliche, früh verstorbene Tochter des Fürsten mit feinsinniger Eleganz für die Nachwelt festgehalten. In der Neuen Sakristei mit ihren gewaltigen Grabmälern, die von keinem geringeren als dem göttlichen Michelangelo in ewigen Marmor gehauen wurden, wollen wir aber unseren Besuch bei einer Familie beginnen, die es durch Machtwillen, Ehrgeiz, Skrupellosigkeit aber auch durch einen Sinn für atemberaubende Schönheit und allerhöchste künstlerische Qualität von Kaufleuten zu Königen gebracht hat.


Neue Sakristei

Obwohl die noch frühlingskalte Stadt am Arno von Touristen schier überlaufen wird, gibt es doch überraschenderweise Orte, an denen es sich in Muße und Ruhe staunen und verweilen lässt. Die Neue Sakristei ist einer davon. Ab 1519 arbeitete Michelangelo an diesem Großauftrag, der neben der sakralen Funktion auch als Grabstätte für Familienmitglieder der Medici dienen sollte. Dezidiert nahm der Künstler Anleihen am 100 Jahre früher errichteten Bau der Alten Sakristei, die Brunelleschi für den Komplex von San Lorenzo ebenfalls im Auftrag der Medici geschaffen hatte. Größe und Grundriss, Material und die Verwendung von kannelierten korinthischen Pilastern übernimmt Michelangelo von seinem Kollegen. Die vertikale Gliederung der Südwand in drei Zonen entlehnt er ebenfalls von diesem, überträgt sie jedoch auf alle vier Wände und verändert die Proportionen wesentlich, indem er zwischen Kuppel und Gebälk noch ein weiteres Geschoss zur besseren Beleuchtung seines überwältigenden Figurenensembles einschiebt.


Für die Grabstätten der beiden Medici Söhne Lorenzo und Giuliano sowie noch zwei weiterer Familienmitglieder wurde dieser Ort erschaffen. Erstere sitzen sich in ihren Nischen gegenüber, während zu ihren Füßen die gewaltigen Allegorien von Tag und Nacht, Morgenröte und Abenddämmerung lagern. Bereits die Zeitgenossen waren von Michelangelos Kunstfertigkeit schier überwältigt. „Gewiss ich halte Euch für einen Gott, soweit es unser Glaube gestattet, weil Ihr wie Gott Vater Adam aus Erde geschaffen und ihm Odem eingeblasen habt und Kraft dessen, der Euch Eure Begabung schenkte, diesen schwellend muskelstarken Gestalten eine Seele einflößtet, wobei Ihr mit soviel Meisterschaft den höchsten Begriffen gerecht werdet….Wohl tausend Mal habe ich mich angeschickt „die Nacht“ wie eine vom Himmel geschaffene Gottheit zu wecken; auch drei- bis viermal zu ihr zurückgekehrt, kann ich mich von der Vorstellung nicht befreien, daß ich nur einmal in Eurer Gesellschaft dorthin zu kommen brauche, um es zu erleben, daß sie alle zusammen sich erheben, um Euch Ehre zu erweisen.“


500 Jahre nachdem Francesco Doni an Michelangelo diesen Brief geschrieben hatte, stehen wir nun an selber Stelle und stimmen dem Verfasser der Zeilen vollends zu. Trotz ihrer gewaltigen Größe, ihrer ungewöhnlichen, noch niemals vorher erprobten Haltung, die nichts Ruhendes in sich trägt, ihres Insteingemeißeltseins hofft man auf ein Zeichen der Bewegung, eine winzige Geste nur, ein Senken des Hauptes, eine Berührung der Hand oder zumindest ein leises Aufseufzen. Jedes Mal scheint es mir, dass im Moment des Verlassens genau jene Regung anheben wollte, sodass das Abschiednehmen von diesem Ort immer eine Überwindung darstellt. Denn trotz ihres nonfinito, jenes künstlerischen Prinzips, das Michelangelo von Beginn an praktizierte, gelten mir die Figuren der Medici Kapelle als Inbegriff der Vollendung.

Biblioteca Laurenziana

Wir werfen einen Blick in das gleich neben der Neuen Sakristei gelegene andere grandiose Meisterwerk, das Michelangelo hier bei San Lorenzo für die Medici erschaffen hat. Das Vestibül der Biblioteca Laurenziana gilt als erster Bau des Manierismus. Welch ein Geniestreich dieses hochartifizielle Wagnis in der Stadt zu erdenken, in der die Renaissance ihren Anfang genommen hat. Nur eine Tür weiter hat Brunelleschi mit der dem Hl. Lorenz errichteten Basilika eine Inkunabel der Architektur des Quattrocento erschaffen. Alles folgt dort einer harmonischen Ordnung und Ausgeglichenheit, die die menschlichen Maßverhältnisse zum grundlegenden Prinzip hat. Michelangelo wischt all dies vom Tisch. Er schafft einen Raum des Unbehagens, indem er die Proportionen durch Disharmonie, die Eleganz durch Reibung, den Wohlklang durch Unerhörtheit ersetzt. Hier stehen Säulen untätig in der Wand, Voluten hängen sich ob ihres Gewichts schlaff nach unten aus und eine überdimensionierte ovale Treppe ergießt sich unheilvoll in den viel zu hohen Raum. Michelangelo erfindet in diesem Raum nichts Neues. Er spielt mit dem Vorhanden wie jemand der die Teile seines Puzzles regelwidrig nach eigenem Belieben zusammensetzt und so ein völlig neues Bild kreiert.


Casa Buonarotti

In Florenz lässt sich aber nicht nur der gewaltige Michelangelo erleben, der ob seiner terribilità bereits bei seinen Zeitgenossen gefürchtet war; in der Arnostadt kann man auch die beiden Kunstwerke betrachten, mit denen alles begann. Die Casa Buonarotti ist eines jener zauberhaft verschlafenen kleinen Museen, von denen man niemandem erzählen möchte, damit sie immer in diesem Zustand verweilen können. Der Palazzo wurde von einem Neffen Michelangelos in der Mitte des 16. Jahrhunderts errichtet und von späteren Familienangehörigen zur Gedenkstätte umgebaut. Heute beherbergt er die beiden frühesten Werke von der Hand des Meisters. In einem zur Straße hin gelegenen lichtdurchfluteten Zimmer werden die Madonna an der Treppe und die Centaurenschlacht präsentiert. Gerade einmal 15 Jahre alt war der Künstler als er das in Florenz so ungemein beliebte Thema der Muttergottes mit dem Jesuskind sanft und doch energisch in den gelblichen Marmor meißelte. Nur von mittlerem Format ist die hochrechteckige Tafel, die dennoch schon das kraftvolle Ungestüm der späteren Werke erahnen lässt. Monumental sitzt Maria im schönen Profil an einem Treppenansatz, das Kind schlafend und stillend an ihrer Brust, während im Hintergrund Putten spielen. Gedankenverloren und doch auf ihr Kind konzentriert wird ihre große Gestalt von zarten Stoffen behutsam umwoben. Obwohl sie nicht auf ihren Sohn blickt, bilden die beiden durch ihre Gesten eine harmonische Einheit. Die verschränkte Kreisbewegung ihrer Arme symbolisiert die liebende Verbundenheit und liegt exakt im Zentrum der Komposition. Die herkulischen Schultern des Jesuskindes verweisen schon viele Jahre vorab auf die muskulösen Gestalten der Medici Kapelle.


Die Centaurenschlacht ist der dynamische Gegenpol zur ruhevoll umsorgenden Madonna an der Treppe. In diesem kriegerischen Relief winden sich im Querformat viele Figuren auf engstem Raum. Sie scheinen nicht nur mit sich zu ringen, sondern vor allem mit dem rauen, teilweise unbehauenen Stein, aus dem Michelangelo sie erwachsen lässt. Deutlich zeigt dieses Werk das Prinzip seiner Entstehung. Des Bildhauers lebenslanges Ringen mit dem Material findet hier seinen Anfang, genauso wie sein bestimmendes künstlerisches Lebensthema: die menschliche, meist nackte Figur in Bewegung erscheint zum ersten Mal in all ihrer Kraft und Schönheit. Lorenzo der Prächtige war es, der Michelangelo als Jungen in seine berühmte Kunstschule aufnahm und so den Beginn einer beispiellosen Karriere förderte.

Palazzo Pitti

Wir schlendern durch Gassen und Winkel. Wir überqueren den Arno, der träge und trübe dahinfließt und folgen auf verschlungenen Wegen dem berühmten Vasarikorridor, der die Stadt in luftiger Höhe durchquert, um den Palazzo Vecchio mit dem Palazzo Pitti zu verbinden. Cosimo I. hatte diesen bei dem berühmten Architekten, Maler und Kunstschriftsteller Giorgio Vasari, der auch für die Uffizien verantwortlich zeichnet, in Auftrag gegeben. Es waren unruhige Zeiten, in denen der Medicifürst die Privatheit eines Geheimgangs hoch über der Stadt zu schätzen wusste. Mit gerade einmal 17 Jahren war Cosimo an die Macht gekommen, nachdem sein Vorgänger 1537 ermordet worden war. Blutig hat sich der junge Regent seine Herrschaft erkämpft, indem er kurz nach Regierungsantritt seine Widersacher öffentlich hinrichten ließ. Geschichtsschreiber sahen in Cosimo die Verkörperung von Machiavellis ehrgeizigem und machthungrigem Principe.


Im Alter von 19 Jahren heiratete der junge Prinz Eleonora di Toledo, die Tochter des Vizekönigs von Neapel. Auch wenn die Ehe aus politischem Kalkül geschlossen worden war, scheint sie von Respekt und Zuneigung getragen gewesen zu sein. Das von ihrem Gatten anlässlich ihrer Hochzeit für Eleonora gewählte Motto, cum pudore laeto fecunditas, (Fruchtbarkeit mit heiterer Keuschheit) sollte sich erfüllen. 11 Kinder gingen aus der Verbindung hervor. Zudem übertrug Cosimo seiner Frau in Zeiten seiner Abwesenheit die Regierungsgeschäfte. So ungewöhnlich dies für das 16. Jahrhundert war, so geschickt führte Eleonora diese Aufgabe aus und bewies auch in wirtschaftlichen und finanziellen Angelegenheiten viel Talent. Als eine der großen Mäzeninnen ging sie in die Kunstgeschichte ein. Sie kaufte den Palazzo Pitti als Sommerresidenz, ließ die weitläufigen Boboli-Gärten anlegen und förderte Künstler wie Cellini, Vasari und Bronzino.


Heute birgt ihr Palast neben einer der kostbarsten Sammlungen an Kunstschätzen seit diesem Jahr noch ein weiteres Glanzstück. Im Obergeschoss wurde vor kurzem erst eine bezaubernd klassisch kuratierte Kostüm- und Modeabteilung eingerichtet. Hübsch nach Epochen mit passenden Accessoires und Gemälden ausgestattet, bietet dieser Rundgang einen unaufgeregt eleganten Überblick über die Jahrhunderte. Vom Rokoko bis in die Jetztzeit lässt sich erkunden was die Besonderheiten des italienischen Stils sind.


Heimliche Hauptakteure der Ausstellung sind aber einige auf den ersten Blick mehr als unscheinbare Stücke. Ernst liegen die Kleider, in denen Eleonora und ihre beiden, mit ihr an einer Malariaerkrankung verstorbenen Söhne beerdigt wurden, in den extra abgedunkelten Räumen. Selten nur können Textilien aus dieser Zeit konserviert werden. Augenscheinlich von größter Bedeutung war die Kleidung für das äußere Erscheinungsbild der Fürstenfamilie. Selbst der jetzige Zustand der Stoffe legt davon noch ein eindrückliches Zeugnis ab. Eleonoras Modedesigner, der ausschließlich für ihre Garderobe zuständig war, verdiente genauso viel wir der überaus geschätzte Hofmaler Bronzino. Von ihm stammt das berühmteste Porträt der Fürstin zusammen mit ihrem kleinen Sohn Giovanni. Dem Künstler kommt das Verdienst zu, nicht nur die Pracht, sondern auch die Farbenfülle der Stoffe für die Nachwelt festgehalten zu haben. Kühl und distanziert sitzt Eleonora vor einem ungewöhnlich strahlend blauen Hintergrund in einem schweren überreich bestickten Brokatkleid dem Betrachter gegenüber. Wäre nicht die zärtliche Geste mit der sie ihren kleinen freundlich dreinschauenden Buben an sich drückt, man würde ob ihrer Erscheinung zu frösteln beginnen.


https://www.uffizi.it/palazzo-pitti/galleria-palatina

https://sanlorenzofirenze.it

https://www.bmlonline.it

https://www.casabuonarroti.it

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