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Gedanken zu einer Reise nach Griechenland

Andros, Athen, Akropolis, Akropolis-Museum, Archäologisches Nationalmuseum, Benaki-Museum

„Ich jauchze bei dem Gedanken, bald Griechenland zu sehen! – aber wie will ich in Griechenland blau malen! Eine Blase mit Kobalt will ich mitnehmen so groß als je ein bayerischer Eber eine in seinem Innersten getragen hat.“ Voll Begeisterung schrieb Carl Rottmann diese Zeilen im Jahre 1834 nieder. War er doch von Ludwig I. auserwählt worden einen monumentalen Zyklus griechischer Landschaftsdarstellungen für die Münchner Hofgartenarkaden zu malen. Eine einjährige Studienreise nach Griechenland stand am Beginn dieses Unterfangens. Strapaziös waren nicht nur die Wegstrecken in diesem von jahrhundertelanger Fremdherrschaft geprägten und vom zermürbenden Freiheitskampf geschundenen Land, dessen vormalige Größe an nur wenigen Orten sichtbar war. Umso mehr muss Rottmanns Leistung gewürdigt werden, in seinen Bildern trotz aller Kargheit eine Ahnung all dessen zu vermitteln, weswegen auch wir uns nahezu 200 Jahre später auf eine wesentlich unbeschwerlichere Reise begeben, deren erste Station die Kykladeninsel Andros ist.


ANDROS


Das Ankommen findet bereits bei Dunkelheit statt. Die erste Nacht klingt fremd. Das stürmische Meer ist zu hören, bleibt aber unsichtbar. Der Blick am sonnendurchfluteten nächsten Morgen in die noch unvertraute Umgebung ist überwältigend. Eine Meereslandschaft breitet sich vor unserem Auge aus, als hätte Carl Rottmann sie in feinstem Kobaltblau ersonnen. Die Horizontlinie ist mit dezenter Eleganz gezogen, zurückhaltend wird sie immer wieder durchbrochen von kleinen Inseln, die sich unscharf zwischen Meer und Himmel schieben. Nuancenreich schimmert das vom spätsommerlichen Silber durchwirkte Azur in seinem ganzen Spektrum zwischen Lichtblau und Tintenschwarz.


Wir Heutigen müssen uns um die Wiedergabe der Farbe Blau keine Gedanken mehr machen. Ein Klick auf die Kamerataste des Smartphones genügt – und genügt natürlich mitnichten. Niemals lässt sich diese Schönheit nur durch ein sekundenschnell gemachtes digitales Foto einfangen. Stundenlang sitze ich und schaue in die blaue Weite. Ich will sie mir einprägen, wie ein Gedicht, um sie auf immer im Gedächtnis zu tragen. Eine Woche lang vergessen wir jeden Tag ein Stückchen mehr, dass unser eigentliches Leben ein anderes ist, ein Leben, das nicht aus Wärme, Sonnenlicht, liebevoll umsorgender Gastfreundschaft und der sich stetig wandelnden Gestalt des Meeres besteht. Mit jedem Blick länger scheint dieser andere Alltag unwirklicher, da diese lichthelle Gegenwart im Hier und Jetzt so umfänglich genügt.


ATHEN UND ARCHÄOLOGISCHES NATIONALMUSEUM


Wie schnell man sich der Anwesenheit der Menschen entwöhnen kann, wird auf dem vollen Schiff unangenehm spürbar, das uns etliche Tage später wieder zurück aufs kulturgesättigte Festland bringt. „Am 10. September fuhren wir endlich mit günstigerem Winde unserem Ziele entgegen (…). Aber welch ein Anblick, ließ uns auf einmal alle diese Mühseligkeiten vergessen!“ Auch wenn Rottmann diese Zeilen nahezu exakt 190 Jahre vor uns notiert hatte, stimmen wir ihm bei unserer Ankunft in Athen zu. Wie immer in neu zu erkundenden Städten sind die ersten Eindrücke so aufregend wie verwirrend. Man weiß noch nicht um die Strukturen, die Begebenheiten der Straßen und Plätze, alles ist neu und fremd. Noch gibt es nichts Erlebtes, das einem die Stadt vertraut macht, noch verbindet nichts. Ob nach dem zaghaften Kennenlernen eine Freundschaft entstehen wird, ist noch nicht ausgemacht.


Wir beginnen mit einem Besuch des Archäologischen Nationalmuseums, dessen Wurzeln, wie so vieles in Athen, im 19. Jahrhundert gründen. König Otto, der bayerische Prinz aus dem Hause Wittelsbach, der durch einige seltsame historische Winkelzüge seit 1832 auf dem griechischen Thron saß, hatte die öffentliche Ausschreibung des Museumsbaus 1856 initiiert. Bis heute spricht die Ausstellungsinstitution jene nüchterne, dem Bildungsauftrag jener Zeit entsprechende Formensprache. In nahezu 50 Räumen wird die Entwicklung der griechischen Kunst von ihren Anfängen an bildlich nacherzählt. Natürlich kommt dem von Schliemann ausgegrabenen Goldschatz die Ehre zu, den Besucher zu begrüßen. Gleich zu Beginn schauen wir der berühmten Maske ins ernste Antlitz, in der einstmals ein Abbild des sagenumwobenen Kriegers Agamemnon gesehen wurde. Nach heutigem Erkenntnisstand war es eine herausragende Persönlichkeit aus der Zeit des 16. Jahrhunderts v. Chr. Wen auch immer das hauchdünne Gold einmal berührt hat, allein die Zeitdimension, die dieses Kunstwerk in all seiner Perfektion und Vollendung in sich trägt, macht neben dem Staunen auch ein bisschen Schauern. Wir wandeln durch Säle und Zeiten. Nur einmal solle noch einer sagen, dass der künstlerische Ausdruck dem Menschen nicht lebensnotwendig sei. Ein einziger Gang durch dieses Museum straft diese Aussage Lügen. Bronze, Marmor, Gold und Terrakotta wurden durch die Jahrtausende verwandt, um der geistigen Idee erkennbare Form und dem menschlichen Willen sichtbare Gestalt zu verleihen.


Die in der Archaik entstandenen ernsten Koren, von denen dieses Museum so viele besitzt wie kein anderes Haus, zeugen von der so früh entwickelten künstlerischen Anstrengungsbereitschaft des Menschen, sein Abbild erst auf die Füße zu stellen, um ihm dann immer mehr Bewegungsfreiheit zu schenken. Ein auf einem Pferd davonjagender Knabe ist hierfür vielleicht das schönste Beispiel. Aufgrund fehlender Vergleichsbeispiele sind die Wissenschaftler bis heute auf Vermutungen angewiesen. Datiert wird die Gruppe um das Jahr 140 v. Chr. Schön und anregend ist es, dass so viele dieser Kunstwerke ihre Geheimnisse nicht Preis geben. Bleibt doch für uns staunende Betrachter ein hohes Maß an gedanklichem Spielraum, der es erlaubt uns auszumalen, wer dieser mutige Junge auf seinem galoppierenden Pferd wohl gewesen ist und noch viel wichtiger, wohin es ihn so eilig denn getragen hat.


Nicht müde wurden die Künstler, der Schönheit der Aphrodite immer und immer wieder in vielerlei Gestalt zu huldigen. Praxiteles hatte den Prototyp der Venus pudica erschaffen, dem auch die Aphrodite von Syrakus folgt. Lose von einem nach unten fallenden Tuch bekleidet, das sie mit ihrer Linken rafft, bedeckt die Göttin mit der rechten Hand ihre Brust. Der Kopf ist zur Seite gewandt, nur sanft angedeutet wird der zarte Kontrapost. Das Zusammenspiel ihrer so elegant verhaltenen Bewegungen scheint mir wie eine leise, fein komponierte Melodie, die dieser stehenden Figur ein Höchstmaß an Virtuosität verleiht. Dass die Antike auch scherzhaft und humorvoll in Göttergestalt durch und durch menschliche Geschichten zu erzählen wusste, wird ebenfalls deutlich. Einige Säle weiter darf man einer weitaus energischeren Aphrodite dabei zusehen, wie sie sich erfolgreich gegen den zudringlichen Hirtengott Pan zu erwehren weiß. Gerade im Begriff sich für ein bevorstehendes Bad zu entkleiden, nimmt sie kurzerhand ihre Sandale und droht damit halb ernst halb scherzhaft dem unhöflichen Verehrer.

AKROPOLIS


So vielfältig die Schätze dieses Museum auch sind, der bis heute unbestrittene Höhepunkt eines jeglichen Athenbesuchs ist natürlich der Aufstieg zur Akropolis. Trotz früher Morgenstunden sind die Wege zum Heiligtum bereits völlig überfüllt. Die Regularien des Einlasses erweisen sich als obsolet. Ausgerechnet hier an diesem Ort regiert das Recht des Stärkeren, beziehungsweise Schnelleren. Fast willenlos wird man von der Menge des Besucheransturms mitgeschoben. Nein, das hat dieser Ort nicht verdient. Seine Geschichte, seine Würde und majestätische Strahlkraft scheinen mir zertrampelt zu werden von den Abertausenden Füßen, die hier tagtäglich auf der Suche nach der Größe der antiken Vergangenheit sind. Nun stehen wir also auf dem Hügel, auf dem das Abendland gründet, wie Theodor Heuss es formuliert hatte. Vor nahezu 2500 Jahren gab Perikles nach der Zerstörung durch die Perser den Auftrag die Akropolis neu zu gestalten. Unter der Leitung der fähigsten Künstler und Architekten der Zeit entstanden die Propyläen, das Erechtheion, der Tempel der Athena Nike und der Parthenon, in dem eine kolossale Statue der Göttin Athene aus Gold und Elfenbein stand. Sie ist die Schutzgöttin der Stadt. Einen Wettstreit hatte sie sich mit ihrem Onkel Poseidon liefern müssen, der ebenfalls Anspruch auf die Region erhoben hatte. Wer den Bewohnern das schönste und nachhaltigste Geschenk machte, sollte als Sieger des Wettkampfes gelten. Nachdem Poseidon seinen Dreizack in den Boden stieß, um eine Quelle hervorsprudeln zu lassen, die jedoch lediglich salziges Meerwasser hervorbrachte, schleuderte Athene ihre Lanze daneben woraufhin ein prächtiger Olivenbaum erwuchs. Eule, die für die Weisheit der Göttin steht, und Ölzweig finden sich bis heute mannigfach in Athen.


Immer wieder von Zerstörungen und Wiederaufbau sind die folgenden wechselhaften Jahrhunderte geprägt. Eroberer kamen und gingen. Die Tempel waren Kirche, später Moschee. Und selbst als Griechenland sich nach aufreibenden kriegerischen Auseinandersetzungen 1827 endlich seine Freiheit von der türkischen Fremdherrschaft erkämpft hatte, setzte man keinen Griechen sondern einen Bayern auf den Königsthron. Die hochfliegenden Pläne eines Leo von Klenze, der den neu zu errichtenden Königspalast am liebsten auf die Akropolis gebaut hätte, wurden glücklicherweise nicht umgesetzt. Es scheint mir beim Verlassen der Anhöhe das Schicksal dieses Ortes zu sein, dass er trotz oder vielleicht wegen seiner einzigartig herausragenden Größe stets von Fremden bevölkert wird. Vermutlich sind verglichen mit früheren Jahrhunderten die heutigen Touristen noch die erträglichsten.


AKROPOLIS-MUSEUM


Meine Hoffnung vielleicht im nahe gelegenen Akropolis-Museum dem Geist, ja ich muss es sagen, der Aura des Ortes und seiner Kunstwerke doch noch nachspüren zu können, werden schnell zunichte gemacht. Auch hier in diesem vielgerühmten Neubau der Architekten Bernard Tschumi und Michalis Fotiadis aus dem Jahre 2009 drängen sich die Mengen. Ausschließlich Fundstücke und Objekte der Akropolis zeigt das Museum. Eng verknüpft war der Neubau mit der brisanten Rückgabeforderung der sogenannten Elgin Marbles. Jener Kunstwerke, die Lord Elgin als britischer Botschafter zu Beginn des 19. Jahrhunderts außer Landes gebracht hatte. Bis heute dauert die Auseinandersetzung an. Besonders schmerzhaft erweist sich die Lücke der entwendeten Teile des Parthenon Frieses. Die in Athen verbliebenen Stücke werden jedoch spektakulär in Szene gesetzt. Atemnehmend muss der Anblick dieses gigantischen Figurenschmuckes gewesen sein, der die Außenwand der Cella des Parthenons geschmückt hatte und die große Prozession während der Panathenäen, des größten jährlich stattfindenden Festes zu Ehren der Athene, präsentierte. Auf der östlichen Eingangsseite war eine Versammlung aller Götter des Olymps dargestellt in dessen Zentrum die Geburt der Athene aus dem Haupt des Zeus zu sehen war. Die westliche Giebelseite zeigte den Streit der Athene und Poseidons um das attische Land.


Von all dem Unbill unberührt, das der Kunst dieser Stätte durch alle Jahrhunderte widerfuhr, scheinen jedoch die stolzen Karyatiden zu sein. Hoch aufgerichtet ziehen jene schönen Figuren virtuos frisierter junger Frauen, die an einer Vorhalle des Erechtheion, die tragende Funktion der Säulen ersetzen, jeden in ihren Bann. Ihre Anmut und Würde, ihre Schönheit und Erhabenheit sind so unübertroffen, dass sie diese auch hier zu bewahren wissen. An ursprünglicher Stelle sind heute Kopien angebracht. Die kostbaren Originale wurden, bis auf eine von Lord Elgin geraubte, in die schützende Obhut des Akropolis-Museums verbracht.

NATIONALGARTEN UND BENAKI-MUSEUM


Wir beschließen die Tage in Athen mit dem Besuch des Benaki-Museums. Der Weg dorthin führt durch den Nationalgarten, der früher zum Schloss gehörte, das heute als Parlamentsgebäude genutzt wird. Es ist einer der schönsten städtischen Parks, den ich je gesehen habe. Wir kommen uns vor wie in einem verwunschenen Märchen. Überall verstecken sich kleine Ruheplätze, Teiche, Lauben und Cafés, die von kunstvoll verwildernden botanischen Pflanzen, in denen die Vögel und Tiere in der Mittagshitze leise ruhen, beschützt werden. Stundenlang könnte man hier verweilen. Viel zu schnell erreichen wir das größte private Museum Griechenlands, das in einem stattlichen Herrenhaus aus dem 19. Jahrhundert untergebracht ist. Mittels exquisiter Objekte erzählt es die Geschichte Griechenlands von der vorgeschichtlichen Zeit bis in die Gegenwart. Viele Lücken vermag es zu schließen, die ob des Übermaßes an Eindrücken in den letzten Tagen entstanden sind. Richtete Antonis Benaki, der das Haus im Gedenken an seinen Vater gestiftet hatte, seinen persönlichen Interessen entsprechend, das Augenmerk der Sammlung doch auch auf Objekte, die das Alltagsleben der Menschen dokumentieren. Neben ausgesuchten Kunstwerken beeindrucken ganze Zimmereinrichtungen und zahlreiche Vitrinen voll faszinierend reich geschmückter Kleidung. Eine ganze Abteilung ist den Ereignissen nach dem Freiheitskampf gewidmet. Immer wieder stoßen wir auf Spuren der Wittelsbacher. Nicht zuletzt war es dem engagierten Philhellenentum Ludwigs I. zu verdanken, dass sein Sohn zumindest für 20 Jahre auf dem griechischen Thron saß. Seinen Enthusiasmus und das Engagement für dieses Land wollte er den bayerischen Untertanen durch Bilder verständlich machen, die die Größe Griechenlands vermittelten. Es waren jene Bilder, für die Rottmann eine so strapaziöse Reise antrat, und die dann zwar nicht im Hofgarten jedoch in der nicht minder ehrwürdigen damaligen Neuen Pinakothek einen noblen Ehrenplatz erhielten.


„Größe der Darstellung, Erhabenheit der Empfindung und wunderbare Verklärung zeigen uns, daß es in der Kunst keine Fächer gibt, die das Vorrecht der höheren Bedeutung in sich tragen, sondern daß des Menschen Geist es ist, durch den die Form beseelt zur Seele des Menschen spricht.“ (Ludwig Lange, Architekt und Reisebegleiter Carl Rottmanns)


https://www.namuseum.gr

https://www.theacropolismuseum.gr

https://www.benaki.org/index.php?lang=en

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