Gedanken zu einer Reise nach Palermo
San Giuseppe dei Teatini, Chiesa del Gesù, Duomo di Palermo, Duomo di Monreale, Capella Palatina, San Cataldo, Palazzo Abatellis Galleria Regionale della Sicilia
Als der normannische Adlige Robert Guiskard 1061 nach Sizilien übersetzte, hatte er vermutlich eine weitaus strapaziösere Anfahrt hinter sich als der heutige Reisende.
Wir landen in der Abenddämmerung und auch wenn das Meer nicht mehr zu sehen ist, so spürt man es. Der Wind ist salzig, die Luft schwer und warm. Am nächsten Tag strahlt nicht nur die Sonne; die intensiven Farben der Blumen, das Glitzern des Meeres überwältigen das Auge. Stunden über Stunden verbringe ich damit auf diese verschwenderische Weite zu schauen. In einer kurzen Zeitspanne am Morgen wirkt die Wasseroberfläche, als hätte jemand mit kräftigen Pinselstrichen dickflüssiges Silber aufgetragen. Danach entwickelt sich ein flirrendes Glitzern, das man am liebsten mit dem hübschen französischen Wort Pétillance beschreiben möchte. Ins Unendliche hinein funkelt und prickelt es, als würde man durch Diamanten schwimmen.
Zu diesem fulminanten Spektakel, das die Natur mit Großzügigkeit an ihre Betrachter verschenkt, habe ich die passende Lektüre eingepackt: Tonio Hölschers „Der Taucher von Paestum“ erzählt vom vermutlich berühmtesten Schwimmer der Kunstgeschichte. Auf einer Grabplatte aus dem 5. Jahrhundert vor Chr. ist der schöne junge Mann im Begriff, beherzt ins Meer einzutauchen. Er sprang zwar ein paar hundert Kilometer weiter nördlich ins kühlende Nass, gehörte aber zu seiner Entstehungszeit zum gleichen, römischen Kulturraum wie die Insel, auf der wir uns gerade befinden. Eindrücklich schildert der Autor in diesem Buch das komplexe belebende Zusammenspiel von Mensch und Meer vor über 2500 Jahren.
Das wechselvolle Miteinander gilt immer noch. Auch wenn man bei Temperaturen von stets über 35 Grad das beständige Verlangen hat, ins Wasser zu springen, sind wir schließlich nicht nur deshalb so weit gereist. Dass wir die windstillen, glühend heißen Tage in der Innenstadt Palermos ertragen, liegt sicher auch daran, dass man die Stadt zumindest am Wasser gelegen weiß.
Selbst die Innenräume der Kirchen geben keine Abkühlung. Zur hochsommerlichen Hitze passend scheint mir der sizilianische Barock in seiner überbordenden Ornamentenlust und seinem Schmuckreichtum. Die Theatinerkirche, direkt an der berühmten Kreuzungsachse zweier wichtiger Straßenzüge, der Quattro Canti, gelegen, wurde zu Beginn des 17. Jahrhunderts errichtet und berichtet von katholischer Überzeugungskraft deren Wirkmacht bis heute nachhallt.
In seiner heterogenen Stilausprägung strahlt der wesentliche ältere Dom Maria Santissima Assunta eine befremdliche Faszination aus. Bereits im späten 12. Jahrhundert im normannisch-arabischen Stil errichtet, zeugt er von der damals so schwierigen Gemengelage der Herrschenden – auf die Römer folgten die Byzantiner, auf die Byzantiner die Normannen, auf die Normannen die Stauffer. Für Friedrich II., seinen Vater Heinrich IV., sowie seine Gattin Konstanze von Aragón, dient die Kathedrale als letzte Ruhestätte. Streng handhabt man hier im Süden die Bekleidungsvorschriften. Unter den wachsamen Augen des Aufsichtspersonals darf diesen heiligen Ort nur betreten, wer nicht zu viel Haut zeigt. Zwar nun keusch verhüllt, jedoch von zweifelhafter ästhetischer Anmutung trägt jede zweite Frau statt luftigem Sommerkleid eine blaue Plastiktüte über den Schultern bis zum Knie.
Das gleiche Bild bietet sich uns, als wir die älteste Jesuitenkirche auf Sizilien besuchen, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts errichtete Chiesa del Gesù. Den Vorgaben des Konzils von Trient folgend, wurde ein dreischiffiger Innenraum gebaut, der es erlaubt, dass jeder Besucher von jedem Platz der Kirche aus die Predigt verfolgen kann. Üppig ist auch dieses Gotteshaus mit vielfarbigem Marmor, Stuck und Fresken ausgestattet.
Besondere Aufmerksamkeit verdienen die perspektivisch angelegten Marmormosaike.
Einzigartig ist auf Sizilien sowohl die Anzahl als auch die Qualität mosaizierter Innenräume. Die byzantinischen Herrscher hatten diese Kunst mit auf die Insel gebracht. In der in den 1170er Jahren errichteten Kathedrale von Monreale, einige Kilometer außerhalb von Palermo gelegen, lässt sich diese Pracht studieren. Die Kirche ist einmalig in ihrer Stilmischung und stellt eine Symbiose aus normannisch-arabisch-byzantinischer Kultur dar. Den massiven Baukörper prägt normannisch-romanisches Wesen, Blendbögen und Intarsien an den Außenmauern zeugen vom arabischen Erbe, die funkelnden Goldgrundmosaiken jedoch sind eine byzantinische Meisterleistung. In großzügigem Format erzählt der gesamte Innenraum den Leseunkundigen in einfach-eindrücklicher Formensprache die Schöpfungsgeschichte bis hin zum Pfingstwunder. Wie überwältigend muss diese goldglänzende Pracht auf Menschen gewirkt haben, die nicht wie wir Heutigen von digitalen Fotos schier überflutet werden, deren Alltag weder spiegelnde Kunststoffoberflächen noch bewegte Bilder kannten und deren Leben nicht vom tausendfachen Abdrücken auf den Kameraknopf einer stets und überall verfügbaren Handykamera begleitet wurde? Von Sorgfalt und Dauer hingegen ist die zeitraubende, mühevolle Arbeit zu Ehren Gottes durchdrungen, die diese bildhaften Kostbarkeiten aus winzigen kleinen Tesserae entstehen lässt.
Zurück in der Innenstadt bewundern wir die nur wenige Jahre zuvor erbaute Capella Palatina und entdecken viele Gemeinsamkeiten zu Monreale. Auch dieses Bauwerk zeugt vom Miteinander der normannisch-arabisch-byzantinischen Kultur und wurde als Hofkapelle ab 1132 unter König Roger II. im Palazzo dei Normanni errichtet. Nicht nur in der äußeren Formausprägung findet sich eine Verschmelzung der Stile. Ikonografie und Leserichtung der Mosaike sind dadurch bestimmt, dass sie den beiden damals verbreiteten Riten, dem seit dem 8. Jahrhundert auf Sizilien vorherrschenden byzantinischen Ritus und dem von den Normannenherrschern wieder eingeführten römischen Ritus, entsprechen. Während nach byzantinischer Tradition die Ikonografie ausgehend von der Kuppel nach unten vertikal zu lesen ist, muss sie sich nach lateinischer Tradition horizontal angeeignet werden. Einen faszinierenden Kontrast zur goldenen Bilderfülle bietet die von arabischer Schnitzkunst zeugende Holzdecke. Aber nicht nur der Blick nach oben lohnt. Der Fußboden ist über und über von kunstvoll gelegtem Marmor und Porphyr bedeckt.
An die schimmernde Opulenz schon fast gewöhnt, wartet die Kirche San Cataldo mit einem Kontrastprogramm auf. Ohne byzantinischen Goldüberzug erzählt sie als eine der letzten Kirchen auf Sizilien nüchtern vom Machtanspruch der Normannen. Sie wurde ab 1154 unter Maio von Bari, dem Großadmiral König Wilhelms I., als Privatkirche erbaut. Charakteristisch sind die drei halbkugelförmigen Kuppeln, die den kubusförmigen, längsgerichteten Bau von außen prägen. Die drei Schiffe des Innenraums werden durch Rundbögen voneinander getrennt, die auf antiken Säulen mit korinthischen Kapitellen ruhen. Die Wände sind steinsichtig. Typisch für die Verschmelzung arabischer und normannischer Bautradition erscheinen die in die Mauerecken eingelassenen Säulen. In der Längsachse wird die Kirche nach oben hin weder durch eine Holzdecke noch ein Gewölbe abgeschlossen, sondern durch die drei halbkugelförmigen Kuppeln auf je einem zylindrischen Tambour mit Fenstern.
So beeindruckend die Vielfalt der sizilianischen Architektur auch ist – es wird in Palermo ein Gemälde aufbewahrt für welches allein es sich lohnen würde hierher zu kommen. Im schmucken Palazzo Abatellis ist die Galleria Regionale della Sicilia untergebracht. Von nahezu provisorischem Charme wirkt dieses kleine versteckte Museum. Gleich im Eingangsbereich erschreckt es den Besucher mit einem gewaltigen Fresko, das den Triumph des Todes zelebriert. Außerdem nennt die Ausstellungsinstitution das zauberhafte Malvagna-Triptychon von Jan Goassaerts Hand sein Eigen, das unter futuristisch anmutender Phantasiegotik eine reizende Maria mit dem Jesuskind zeigt, begleitet von den Hll. Katharina und Dorothea sowie einigen äußerst bemüht musizierenden Putten. Weswegen dieses Museum aber berühmt ist, liegt einzig und allein an einem kleinen auf den ersten Blick zurückhaltenden Gemälde. Wer es einmal gesehen hat, wird es nie wieder vergessen. Die Annunziata von Antonello da Messina aus dem Jahr 1475 ist von solch berückend schlichter Demut und Vornehmheit, dass man kaum zu atmen wagt in ihrem Angesicht. Kein Engel rauscht zu dieser verständigen Jungfrau herein, um ihr mit großer Geste die große Nachricht ihrer göttlichen Schwangerschaft zu verkündigen. Allein an der Gestalt Mariens, einzig durch das wissende Annehmen ihres Blickes, der nobel erhobenen schmalen Hand sowie der lichthaften Berührung ihres schön geschnittenen Antlitzes wird uns diese frohe Botschaft bildhaft vermittelt. Von nahezu illusionistischer Realität schirmt das Lesepult diese besondere Frau dezent von ihrer Umwelt ab.
Ins Reich der Mythen muss die Legende verbannt werden, Antonello da Messina hätte die Technik der Ölmalerei, die die feinen Nuancen in diesem Bild ja erst erlaubt, direkt bei den berühmten Brüdern van Eyck in den Niederlanden erlernt. Dass dieser so spannende Künstler, über den wir leider so wenig wissen, da Aufschluss gebende Archivalien dem schweren Erdebenen in Messina 1908 zum Opfer gefallen sind, auf seinen Reisen nordische Kunst in Mailand, Venedig oder Neapel in Augenschein nehmen konnte, steht jedoch außer Frage. Wie er das Fremde mit dem Vertrauten verschmolzen und zu etwas einzigartig Neuem gemacht hat, lässt einfach nur staunen und scheint eine typisch sizilianische Eigenschaft zu sein.
Sicher nicht durch die rosa Brille der Nachgeborenen gefärbt dürfen wir die wechselvolle, von Machthunger, Eroberungsgeist und Dominanzwillen durchsetzte Vergangenheit Siziliens betrachten. Dass ein kulturelles Miteinander aber funktionieren kann, dass sich Verschiedenheit ergänzt, Unterschiedlichkeit bereichert, ja das kann man auf dieser so verwirrend faszinierenden Insel im Süden Europas erleben und erlernen.