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Gedanken zu einer Reise nach Paris

Bourse de Commerce Pinault Collection, Versailles, Fondation Cartier, Musée Carnavalet, Saint Denis, Kathedrale von Reims

„Und  so nehmen wir Platz auf den eisernen Stühlen der schönsten Stadt der  Welt und atmen eine Schönheit und einen Großmut, die keinen anderen  Zweck haben, als Schönheit und Großmut zu verbreiten.“ Vor genau 10  Jahren reiste ich zum ersten Mal in die schönste Stadt der Welt und  genau vor 10 Jahren schrieb die kluge Iris Radisch mir mit diesen Worten  direkt aus der Seele. Seither bin ich viele Male an die Seine gefahren,  häufig auch im August. Es ist eine besondere Zeit für Paris. Denn jeder  Einwohner, der etwas auf sich hält, fährt im Sommer mit der Familie an  die See. So leer einige Ecken zu jener Zeit deshalb in Paris auch sind,  so fast feierlich dann die Rentrée, die so typische Rückkehr in den  Arbeitsalltag nach den großen Ferien im September zelebriert wird, so  sehr liebe ich diese etwas anderen Tage im August. Sie fallen in diesem  Jahr aufgrund der fehlenden Touristenreisegruppen sogar noch etwas  stiller aus als sonst.


Das  Wetter zeigt sich kapriziös. Das bleierne Grau der Wolken vermischt  sich mit den so faszinierend gestalteten Hausdächern gleicher Farbe an  den großen Boulevards. Über viele Stockwerke erstrecken sich diese  Dachgeschosse, die die Pariser Häuserlinie so einzigartig machen.  Letztendlich ist das Wetter von Paris aber so egal, wie das Kleid an  einer schönen Frau. Sie strahlt immer, selbst im windigsten Regengewand.


Wir  beginnen unseren Aufenthalt mit einem Paukenschlag. Monsieur François  Pinault hat sich seine mäzenatische Selbstdarstellung etwas kosten  lassen. Mitten im ersten Arrondissement prankt sein neuester Coup. Noch  viel mehr als in anderen Städten gilt in Paris der historische  Standortfaktor. Zwischen Louvre und Centre Pompidou gelegen, ist das  neue Museumsgebäude ein Paradebeispiel der sogenannten  Revolutionsarchitektur des späten 18. Jahrhunderts. Ursprünglich war es  als Getreidemarkthalle errichtet und später als Handelsbörse genutzt  worden. 1812 bekrönte man den Bau mit der damals größten Metallkuppel  der Welt. Der Superlativ steckt demnach bereits in der DNA des Baus. Auf  ihn konnten sich der Architekt Tadao Ando und der Sammler Pinault bei  ihrer dritten Zusammenarbeit beziehen: nach dem Palazzo Grassi und der  Punta della Dogana in Venedig nun also Paris, wo das ehemalige  Börsengebäude nach fünfjähriger Umbauzeit in zeitgenössischem Glanz  erstrahlen darf.


Dominant  wurde hierfür die bestehende Rotunde in Szene gesetzt. Von versetzt  angelegten Treppenläufen, die die Präsentationsräumlichkeiten durch  Galerien mit dem Zentrum verbinden, kann der riesige, runde  Betonzylinder, der in den Ursprungsbau eingelassen ist, von  unterschiedlichen Höhen und Blickwinkeln aus betrachtet werden.


Diese  insgesamt 13 000 Quadratmeter große Bühne wurde erschaffen für eine der  spektakulärsten Kunstpräsentationen unserer Zeit. Die Sammlung des  Milliardärs François Pinault umfasst 10 000 Werke von nahezu 350  internationalen Künstlern. Die crème de la crème der zeitgenössischen  Kunst ist vertreten. Jeder und alles, was Rang, Namen und Preis hat, ist  hier zu sehen.


200  Exponate sind von ihrem Besitzer einzeln handverlesen und für das  Museum ausgewählt worden. Pinault gilt als einer der wichtigsten Sammler  und Mäzene unserer Zeit. Die Bourse de Commerce Pinault Collection „bietet den Besuchern einzigartige, hingebungsvolle und originelle  Einblicke in die Kunst unserer Zeit aus der Sicht des Sammlers,“ so  steht es auf der Homepage der Institution.

Und  dennoch: wir durchstreifen die elegant-reduzierten Räume, die kühn  geschwungenen Treppen, umrunden die Rotunde, um schließlich in deren  Mitte zu verweilen. Hier windet sich schmelzend Urs Fischers wächserne  Raptusgruppe nach Giambologna äußerst instagramtauglich nicht nur  aufgrund der gewaltsamen Räuber, sondern auch unter dem einfallenden  Sonnenlicht. Ganz leise können wir uns des Eindrucks nicht erwehren,  dass hier der Wettstreit zwischen den beiden Wirtschaftsgiganten  François Pinault und Bernard Arnault auf dem Felde der Kunst fortgeführt  wird. Hatte Arnault doch 2014 mit der Eröffnung der Fondation Louis  Vuitton den repräsentativen Sammlerkampf eingeläutet. So fühlt man  Absicht…


Herzerheiternd  hingegen gestaltet sich der Besuch einer anderen, durchaus ähnlich  intendierten Institution. Wie zur Zeit der Medici in Florenz gehört es  anscheinend für die großen Luxushändler mittlerweile zum guten Ton, sich  auch auf dem Gebiet des Kunstmäzenatentums zu profilieren. Für die Fondation Cartier schuf ebenfalls ein Stararchitekt die passenden Räume. Jean Nouvels  feingliedriger Glas- und Stahlbau fügt sich subtil und vornehm in das so  bezaubernd verwilderte Grundstück ein, dass man fast vergisst mitten in  einer Großstadtmetropole zu sein. Licht und transparent scheinen die  Innenräume nur zart vom Außen getrennt.


Passend dazu lässt uns Damian Hirst in ein Meer aus Cherry Blossoms fallen. „Like Jackson Pollock twisted by love.“ So beschreibt der  Künstler sein erstes malerisches Werk. Neben der Methode des action  paintings entdeckt man natürlich noch viele andere kunsthistorische  Bezüge wie beispielsweise Anleihen an die Landschaftsmalerei des späten  19. Jahrhunderts oder das Prinzip der Serie, das in Monets berühmten  Nympheas einen vormaligen Höhepunkt erreicht hat. Hirsts Variationen  umfassen über 100 großformatige Arbeiten, die die Kronen von  Kirschbäumen in voller Blüte gegen den blauen Himmel zeigen. 30 Gemälde  hat der Künstler für die Ausstellung ausgesucht und konzentriert  gehängt.


Welch  eine unerwartete Überraschung: Hirst, der früher so wunderbar  schockieren konnte mit Haien in Formaldehyd oder diamantbeklebten  Schädeln, tut dem Auge und der Seele gut. Seine Bilder sind ästhetisch,  liebevoll, klug, niemals banal oder rein dekorativ. Sie erfreuen und  faszinieren auf zurückhaltende Art.


Von  Zurückhaltung ist an einem anderen Ort, wenige Kilometer von Paris  entfernt, nichts zu spüren. Ludwig XIV., der die Devise nec pluribus  impar wählte, hat auch ein Schloss erschaffen, das allen anderen  ungleich ist. Stets aufs Neue beeindruckend in seiner Pracht und  Ausdehnung, erträgt das Schloss des Sonnenkönigs mit gelassener  Überlegenheit die Besuchermassen, die sich durch seine Säle selbst in  jetzigen Zeiten schieben. Und doch scheint der Spiegelsaal etwas von  seinem Glanz zu verlieren, wenn er statt von Damen in grand parure von  Menschenmengen in Funktionskleidung und mit Smartphones belagert wird.  Nur mit Mühe gelingt die Vorstellung des funkelnden Zaubers der  Kronleuchter, Spiegel und bodentiefen Fenstertüren, den die Menschen  hier früher bestaunen konnten. Nur schwer imaginiere ich wandelnde  Rokoko-Paare statt der kleinen Elektrofahrzeuge zwischen den Bosketten  und Brunnenanlagen.


Dass  eine Pracht- und Machtentfaltung, die in rücksichtslosester Weise auf  Kosten des Großteils der Bevölkerung aufgebaut war, nahezu zwangsläufig  in die Revolution von 1789 führen musste, wird einem an diesem so  geschichtsträchtigen Ort mit aller Wucht wieder deutlich vor Augen  geführt.

Detailreich bekommt man diese Entwicklungen an einem anderen Ort anschaulich vor Augen geführt. Nach langer Schließung ist das Musée Carnavalet wieder neu eröffnet. Didaktisch wertvoll, leider aber auch nicht mehr  so rührend verstaubt wie vor der Renovierung, entrollt sich vor den  Augen des interessierten Besuchers die Geschichte der Stadt Paris von  ihren Anfängen bis in die Gegenwart. Mobiliar, Waffen, Gemälde und  Alltagsgegenstände machen Geschichte erleb- und nahbar. Vermutlich wird  jedes Pariser Kind dieses Museum am Ende seiner Schullaufbahn besucht  haben und sich an das weiße schlichte Leinenhemd erinnern, das die  unglückliche Marie Antoinette während ihrer Gefangenschaft hat tragen  müssen.


Die  Überreste dieser bis heute tragisch-schillernden Figur königlichen  Geblüts befinden sich in der traditionellen Grablege der französischen  Könige. Etwas außerhalb gelegen, ist die Kathedrale von St. Denis einer der bedeutsamsten Orte Europas in kunsthistorischer und historischer Hinsicht.


Über  dem Grab des Hl. Dionysius, dem ersten Bischof und Stadtheiligen von  Paris, war bereits im 4. Jahrhundert eine Kapelle errichtet worden,  deren Nachfolgebauten seit dem 6. Jahrhundert den französischen Königen  als Grablege dienten. In steinerner Würde ruhen die berühmten gisants,  die Liegefiguren, nun schon seit Jahrhunderten an diesem Ort. Lediglich  die gewaltsamen Umbrüche während der Revolution vermochten es, ihre Ruhe  zu stören. Sogar die von ihren Zeitgenossen so sehr gehasste  Österreicherin Marie Antoinette hat dort 20 Jahre nach ihrer Hinrichtung  zusammen mit ihrem Ehemann ihre letzte Ruhestätte gefunden.


Auch  ihre Vorgänger Heinrich II. und seine Gattin Katharina de Medici, die  in Anlehnung an antike Vorbilder ein stattliches Mausoleum in Auftrag  gegeben hatte, sind hier bestattet. Dieses Doppeldeckergrabmal stellt  eine Meisterleistung des manieristischen Bildhauers Germain Pilon dar.  Die Verstorbenen werden einmal bar jeglicher königlicher Würden nackt  und bloß als verwesende Leichname im Untergeschoss gezeigt, während die  lebendig gestalteten, oberen Figuren im fürstlichen Ornat für ihr  Seelenheil bitten.


Der  Ort, an dem all die Verstorbenen ruhen, ist jedoch nicht nur ein Ort  des Endes, sondern auch der eines fulminanten Anfangs. 1137  revolutionierte Suger, der damalige Abt des Klosters, die sakrale  Architektur. All das, was den Baustil der Gotik auszeichnet,  Höhenstreben, Kreuzrippengewölbe, Strebepfeiler und Spitzbögen hatte  Suger hier natürlich nicht erfunden. Er fasste es jedoch zum ersten Mal  mit solch atemberaubender Stringenz zusammen und stellte es in einen  radikal neuen geistig-ästhetischen Zusammenhang, dass der Kirchenbau ab  da ein anderer war. Es wurde nicht mehr vom Mauerwerk aus gedacht,  sondern von seiner lichtvollen Durchbrechung her mittels buntglasiger  Fenster. Man strebte lichte Höhen an, wo vormals die Architektur in  wuchtigem, wehrbarem Mauerwerk gefangen war. Einzelräume wurden zu einem  Kontinuum verschliffen. Die Statik, die diese zarten, von juwelenhaftem  Licht durchfluteten Räume hielt, wurde nach außen verlagert. Die Größe  Gottes sollte ein architektonisches Ebenbild auf Erden erhalten.


Den Höhepunkt dieser Entwicklung bestaunen wir bei einem Halt auf der Rückfahrt. Die Kathedrale von Reims,  die Krönungskirche der Könige und damit der Ausgangsort einer jeglichen  französischen Herrschaft, wurde knapp 75 Jahre nach St. Denis begonnen.  Sie stellt in ihrer hochgotischen Stilreinheit eine der größten  Meisterleistungen der europäischen Architektur dar. Die dreizonige  Fassade weist als einzige aller Kathedralen durchfensterte Tympana auf.  Auch die Flächen über den Portalen mussten dem Prinzip der Diaphanie  weichen und präsentieren statt skulpturaler Reliefs, prächtige  Fensterrosen. Elegant scheint eine steinerne Spitzendecke über die  Fassade geworfen, um die einzelnen horizontalen Stockwerke zu  verschleiern. Die Türme sind filigran durchbrochen und lassen den Himmel  durchscheinen. Von fast perfekter Harmonie ist der dreischiffige  Grundriss.


Seit  nahezu tausend Jahren lächelt die berühmteste Gewändefigur von Reims,  der l’Ange au Sourire, vor Freude ob solch einer Überfülle an  vollendeter Schönheit.


www.pinaultcollection.com

www.fondationcartier.com

www.carnavalet.paris.fr

www.chateauversailles.com

www.cathedrale-reims.com

www.saint-denis-basilique.fr

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