Gedanken zum Veneto und seinem berühmtesten Künstler Giambattista Tiepolo
Würzburger Residenz, Palazzo Patriarcale Udine, Villa Pisani (Nazionale) Stra
„Gestern ist der Venetianische Mahler Diepolo ankommen. Hat mitgebracht seine 2 Sohn und einen diener. Ist am Hof in die Eckzimmer in garten am Rhennweg logiret und mit fünff Zimmern versehen word.“
Mit diesen Worten notierte der Protokollchef des Würzburger Hofes am 12. Dezember 1750 gewissenhaft die Ankunft eines der berühmtesten Künstler Europas in sein Tagebuch. Giovanni Battista Tiepolo war nach Franken geholt worden, um die Prunkräume sowie das Treppenhaus der Würzburger Residenz auszumalen. Dreißig Jahre zuvor war der Grundstein für das prächtige Schloss gelegt worden. Nach turbulenten Jahren sollte unter Fürstbischof Carl Philipp von Greiffenclau nun auch die Innenausstattung endlich in Angriff genommen werden. War das Treppenhaus doch in aller Eile bereits 1745 fertig gestellt worden, um den auf dem Weg zur Kaiserwahl durchreisenden Franz Stephan von Lothringen standesgemäß zu empfangen. Balthasar Neumann hatte ein architektonisches Meisterwerk geschaffen, das den aufwändigen barocken Repräsentationsansprüchen jener Zeit vollends Rechnung trug. So war das Vestibül der Residenz von den Dimensionen so bemessen, dass eine vierspännige Kutsche mit einem Wendekreis von 19 Metern bequem einfahren und in einem Bogen wieder ausfahren konnte.
Trockenen Fußes der Kutsche entstiegen, schritt der Besucher aus dem eher dunkel gehaltenen Vorraum den lichten Höhen des Treppenhauses entgegen, an dessen Decke sich jenes Meistwerk von Tiepolos Hand befindet, das bis heute staunen macht. Sind wir Schauenden der Gegenwart begeistert von jener überwältigenden Pracht, wie muss es nur den Betrachtern des 18. Jahrhunderts ergangen sein! Tiepolo erschuf mit Eleganz, malerischer Brillanz und einer gehörigen Portion Humor scheinbar leichthändig das größte zusammenhängende Deckenfresko der Welt. Erst in der natürlichen Bewegung des Emporschreitens, die durch die Architektur des Treppenverlaufs samt Wendepodest vorgegeben wird, erschließt sich nach und nach die überreiche Komposition. Auf insgesamt nahezu 700 Quadratmetern sind je nach Zählart um die 105 Figuren verteilt, wobei das Irdische auf dem Bodenstreifen verweilt, während das Göttliche sich in himmlische Sphären aufschwingen darf.
Was auf den ersten Blick in seiner schieren Größe fast überfordert, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als klug strukturierter Geniestreich der besonderen Art. Dem Überschwang liegt ein klares Ordnungssystem zugrunde, das sich bis ins kleinste Detail lesen lässt wie ein fesselndes Buch, bei dem nichts dem Zufall überlassen wird. Verteilt auf die vier Seiten, repräsentieren jeweils ein charakteristisches Tier sowie eine weibliche Allegorie die Erdteile Amerika, Afrika, Asien und Europa. Darüber erstreckt sich ein lichtheller Götterhimmel, in dessen Zentrum Apoll alles überstrahlt. Dem Verständnis der damaligen Zeit entsprechend, wird Europa dominant und als Höhepunkt der Welt perfekt in Szene gesetzt. Hier ist neben vielen weiteren zeitgenössischen Bildnissen, wie dem Baumeister Neumann oder Mitgliedern der Malerfamilie Tiepolo, das respekteinflößende Porträt des Hausherren Carl Philipp Greiffenclau platziert. Nochmals ikonologisch überhöht – als Bild im Bild – schwebt er über allem und beschließt fulminant die gewaltige Aussage des gesamten Freskos: mit der Regentschaft des Fürstbischofs geht die Sonne über der Welt auf.
Eine Vorskizze des Freskos hat sich erhalten, die bereits im Entwurf den Ideenreichtum Tiepolos dokumentiert, auch wenn im fertigen Kunstwerk einige Änderungen vorgenommen wurden. So war ursprünglich gedacht, dem Emporschreitenden als ersten Erdteil Europa vor Augen zu führen. Kurzerhand tauschten dann jedoch Amerika und Europa an den Schmalseiten die Plätze, sodass der Heimatkontinent des Auftraggebers den dramatischen Höhepunkt des malerischen Spektakels bildet.
Auch in technischer Hinsicht ist das Deckengemälde eine Meisterleistung. Insgesamt 219 Giornate, also Teilabschnitte innerhalb des Freskos, die an einem Tag geschaffen wurden, konnten ausgemacht werden. Aufwändig, jedoch äußerst haltbar zeigt sich diese Malerei, die in den frischen, noch nassen Putz eingebracht wird. Stofflichkeiten, Licht und Schatten, durch die Untersicht notwendige Verkürzungen sowie erzählerische Feinheiten selbst auf die enorme Betrachterdistanz hin sichtbar zu machen, erforderte größte Konzentration und Könnerschaft. Es verwundert nicht, dass Tiepolo mit einem Honorar von 15 000 Gulden das 13-fache Jahresgehalt des Baumeisters der Residenz für sein Fresko erhielt.
Bereits vor dieser monumentalen Aufgabe war Tiepolo in Italien ein gefragter Künstler, den die Wohlhabenden und Einflussreichen gerne mit repräsentativen Freskenaufträgen betrauten. War jene Art der Malerei im häufig feuchten Klima des Veneto doch eine besonders gefragte Technik. Auf unserer kleinen Reise dorthin, konnten wir uns davon überzeugen. Während andern Orts Italien von Touristen schier überrannt wird, erlaubt das Städtchen Udine ein südliches Erleben, wie es schöner nicht sein könnte: freundliche Plätze und Straßen mit entspannt in der Sonne gelegenen Cafés; Kirchen, die sich ebenfalls eine äußerst ausgedehnte Mittagsruhe gönnen und einem eleganten Bischofspalast, der seit 1995 auch das Diözesanmuseum beherbergt. Höhepunkt dieses Hauses ist die zwischen 1726 und 1728 geschaffene Galleria Tiepolo, wo sowohl an den großzügigen Wänden als auch an der Decke Geschichten aus dem Alten Testament erzählt werden. Den Mittelpunkt bildet eine Szene, die nur sehr selten dargestellt wird. Rachel, nach vielen Jahren endlich mit Jakob verheiratet, unterstützt ihren Mann in der Absicht das Haus ihres Vaters zu verlassen. Da Laban die beiden trotz seines Versprechens nicht ziehen lassen will, nutzen sie eines Tages die Gunst seiner Abwesenheit und brechen heimlich auf. Laban setzt der Großfamilie jedoch nach und holt sie ein. Er wolle sich von seinen Enkeln verabschieden, zudem hätten Tochter und Schwiegersohn seine kleinen Hausgötter entwendet.
Beredt lässt Tiepolo die Hände seiner Protagonisten den hochdramatischen Moment begreiflich machen, hatte Laban doch geschworen, wer im Besitz der Götter sei, den würde er töten. Mit unschuldigem Blick und gespielt naiver Geste bleibt Rachel auf ihrer kleinen Truhe sitzen, die sehr wohl die Teraphim birgt, mit der Ausrede, sie könne vor ihrem Vater nicht aufstehen, da es ihr gerade ergehe, wie es eben Frauen ergeht. Er suchte weiter, die Götterbilder aber fand er nicht, heißt es dazu in der Bibel. Obwohl es sich um ein Frühwerk des Künstlers handelt – Daniele Dolfin, der Erzbischof von Udine, war einer der frühesten Auftraggeber, der das Talent des jungen Malers erkannt hatte – zeugen die Fresken bereits von der markanten, von einzigartiger Wiedererkennbarkeit geprägten Könnerschaft Tiepolos. Wie ein großartiges Theaterstück, das erst durch den zur Seite genommenen Vorhang sichtbar wird, führt er mit allerlei Nebenschauplätzen und Personal diese reich geschmückte Szene auf: In seiner charakteristischen Manier bringt Tiepolo die Gewänder der in komplizierten Perspektiven dargestellten Figuren zum Leuchten. Überraschend asymmetrisch leert er ganze Partien der Komposition. In rokokoesken Pastelltönen hellen sich die Hintergründe auf. Zur erheiternden Auflockerung dienen die bezaubernden Drollerien der Kinder am rechten Bildrand. All jene Elemente werden sich später im Großformat auch in der Würzburger Residenz finden. Ein Verwandter der hier so freundlich wie neugierig das Geschehen verfolgenden Kamele bekommt in Würzburg sogar eine ganz besondere Ehre zugewiesen: Er darf als majestätisches Reittier der Personifikation Afrikas dienen.
Ein weiteres nahezu unentdecktes architektonisches Juwel befindet sich 150 Kilometer entfernt an der Brenta. Hier liegt die größte des an Villen wahrlich nicht armen Veneto. Kaum wagt man sie jedoch so zu betiteln. Wirkt das Anwesen doch nicht wie ein der kühlenden Sommerfrische dienendes privates Refugium, sondern eher wie eine königliche Residenz. Viele gekrönte Häupter beherbergte das Haus tatsächlich, sodass man gemeinhin von der Villa Nazionale spricht. Die ursprünglichen Erbauer waren die so ehrgeizigen wie einflussreichen Pisani. 1720 rissen sie einen kleineren Vorgängerbau aus dem 16. Jahrhundert ab, um eine Sommerresidenz von gewaltigen Ausmaßen nach Plänen des Architekten Francesco Maria Preti zu errichten, die den Ansprüchen der aufstrebenden Adelsfamilie entsprach. Seit dem 14. Jahrhundert verfolgten die Bankiers und Kaufleute anspruchsvolle Pläne, die schlussendlich in der erfolgreichen Erlangung des höchsten Amtes der Stadt Venedig gipfelten. Als Anspielung darauf, dass Alvise Pisani 1735 der 114. Doge von Venedig war, erhielt der neue Prachtbau exakt 114 Zimmer.
Fünf Jahre nach Beendigung der Bauarbeiten wurde Tiepolo mit der Aufgabe betraut den großen Festsaal mit einem Deckenfresko zu schmücken. Ähnlich wie bereits 10 Jahre zuvor in Würzburg, gestaltete er den Anblick dieses Kunstwerks als klug durchdachten, auf größte Überwältigung abzielenden künstlerischen Coup. Was in Würzburg das leicht verschattete Vestibül, sind hier in Stra die lediglich mit zurückhaltenden Landschaftsveduten ausgestatteten Vorzimmer, die das koloristische Feuerwerk, das Tiepolo an der Decke des Ballsaals zu entzünden vermag, voll zur Geltung kommen lassen. Im Zentrum der Komposition hat sich die Muttergottes niedergelassen, ihr zu Füßen Allegorien von Glaube, Hoffnung, Mitleid und Weisheit. Darunter begleitet die von einer Krone in Form einer Stadtmauer kenntlich gemachte Personifikation Venedigs die Apotheose der kostbarst gekleideten Familie Pisani. Die zahlreiche Kinderschar bereichert die Szenerie und zeugt von dynastischer Stabilität. Sie werden umgeben von Allegorien der Macht, der Wissenschaft und der Künste. An den vier Seiten finden sich Darstellungen der vier Kontinente. In alle Weltenrichtungen bläst Fama mithilfe ihrer Posaunen den Ruhm der Pisani. Tiere, wie der berühmte Papagei, der sich sehr eigenwillig auf einer der Balustraden niedergelassen hat, scheinen dabei direkt aus der Würzburg Residenz übernommen. Auf der gegenüberliegenden Seite zeigen Darstellungen das Leid, das der Krieg über die Menschen bringt. Im Kontrast dazu steht die Freude des Friedens, die durch die kluge Herrschaft der Pisani symbolisiert wird.
Das Fresko stellt in seiner virtuos ausgeführten, komplexen, ikonografischen Pracht sicherlich den Höhepunkt des Schlosses dar. Aber auch andere Zeiten und ihre Bewohner hinterließen interessante Spuren. 1807 hatte Napoleon die Villa gekauft. Von ihm soll der Ausspruch stammen „Für einen Grafen zu groß, für einen König zu klein“. Als selbst ernannter König von Italien verbrachte er deshalb auch nur eine einzige Nacht in der Villa, die er seinem Stiefsohn, dem Vizekönig, Eugène de Beauharnais als Wohnsitz überließ. Vor allem an den Gemächern, die sich dessen Frau Auguste von Bayern in zart klassizistischer Manier einrichten ließ, kann ich mich kaum satt sehen. Die Wittelsbacherin bewies großes ästhetisches Gespür. Das Badezimmer mit der elegant versenkten Wanne, sowie ihre Wohnräumlichkeiten sind an Liebreiz kaum zu überbieten. Zart und nur selten übermütig tanzen aller Orten leicht bekleidete Musen, anmutige Göttinnen und niedliche Putten an Decken und Wänden ihre charmanten Reigen.
Wechselhaft ging die Geschichte des Hauses weiter: Nach Napoleon kamen die Habsburger dann die Savoyer bis das Schloss 1882 schließlich zum italienischen Nationaldenkmal deklariert wurde. Dunkelster Punkt der Geschichte ist sicherlich das Zusammentreffen von Hitler und Mussolini in der Villa Pisani im Jahr 1943. Um die Schatten der Vergangenheit zu vertreiben hilft ein Spaziergang durch den Park, der von sommerlichem Grillenzirpen lautstark erfüllt wird. Gegenüber der Rückseite der Villa befindet sich als glanzvoller Blickpunkt der streng symmetrisch ausgerichtete Marstall, während sich in den Seitenachsen wunderbar überraschende Erheiterungen verstecken. Ein kleines Coffeehouse steht auf einem sanften Hügel und verlockt vielleicht nicht nur zur Ruhe, sondern auch zur Heimlichkeit eines Tête-à-tête. Ein nicht minder reizvoller Höhepunkt ist der bereits 1721 angelegte Irrgarten, dessen Buchsbaumhecken eine trapezförmige Anlage mit eingeschriebenem Kreis bilden. Im Zentrum erhebt sich ein Türmchen, dessen Aussichtsplattform mit einer Statue der Minerva bekrönt wird.
Wäre die Göttin der Weisheit doch auch heute das stets erstrebte Ziel aller mühevollen Irrwege!
https://www.villapisani.beniculturali.it