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Gedanken zu einem Wochenende in Paris – Zweiter Teil Mode

Palais Galliera Musée de la mode de la Ville de Paris, Musée Yves Saint Laurent Paris, La Galerie Dior

“I make clothes; women make fashion.” Mit zurückhaltender Bescheidenheit beschrieb Azzedine Alaïa, einer der ganz großen Couturiers des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts, selbst sein Tun. Jedoch nicht seine eigene Kunst, sondern seine Begeisterung für die geschneiderten Meisterwerke anderer steht im Zentrum der großen Herbstschau „Azzedine Alaïa Couturier Collectionneur“ im Pariser Modemuseum Palais Galliera. Insgesamt werden über 140 Roben der mehr als 20 000 Stücke umfassenden Kostümsammlung gezeigt, die Alaïa unter größter Geheimhaltung über Jahrzehnte hinweg mit Kennerblick erworben hatte. Die ersten Kleider kaufte er bereits 1968 nach der Schließung des Hauses Balenciaga an. Nach und nach entstand eine Kollektion exquisiter Stücke, die nichts Geringeres ist, als eine textile Geschichte der hohen Kunst der Couture. Jeanne Lanvin, Jean Patou, Paul Poiret, Gabrielle Chanel, Madeleine Vionnet, Elsa Schiaparelli oder Christian Dior sind genauso mit Modellen vertreten wie die späteren Zeitgenossen Jean Paul Gaultier, Comme des Garçons, Alexander McQueen, Thierry Mugler und Yohji Yamamoto.


Zum ersten Mal wird nun ein Teil der Kleider einer internationalen Öffentlichkeit präsentiert. Alaïas Leidenschaft für die Historie seiner eigenen Disziplin von der Geburt der Haute Couture am Ende des 19. Jahrhunderts bis hin zu seinen Zeitgenossen wird in den Räumen nahezu haptisch fühlbar. Die tiefe Bewunderung, die er für das Talent seiner Vorgängerinnen und Vorgänger hegte, durchzieht die Ausstellung wie ein roter Faden. In geschmackvollen Gruppen sind die Roben auf kleinen Podesten im Halbdunkel angeordnet. Wie kostbare Juwelen werden sie nur partiell beleuchtet, sodass sich die Meisterhaftigkeit eines jeden Modells nur mit Sorgfalt und Konzentration erschließen lässt. Trotz abendlicher Stunde ist das Museum gut besucht. Das Publikum scheint mir fast durchweg vom Fach zu sein, so geduldig, nahezu andächtig die bisweilen fast unsichtbaren Nähte, die raffinierten Materialien und anmutigen Silhouetten mit viel Zeit und Muße in Augenschein genommen werden: sommerlich heitere Geblümtheit von Jean Patou, raffinierteste Diagonalschnitte von Jeanne Lanvin in gewagtem Orange und Blau, fließende, dunkelviolette Eleganz der Linien von Madeleine Vionnet und natürlich Monsieur Diors schwarz seidene Noblesse. Mit souveränem Blick für die jeweilig einzigartige Handschrift seiner Kolleginnen und Kollegen hat Alaïa ein nicht allein aus modehistorischer Sicht einmaliges bel composto zusammengetragen.

Nur einen Steinwurf entfernt liegt das kleine charmante Museum zum Werkschaffen Yves Saint Laurents. Vornehm wird der Einlass inszeniert, bevor sich der Salon mit großzügigen Spiegeln und dem berühmten Konterfei des Couturiers öffnet. Ein paar Fotos geben Einblick in das glamouröse und doch nicht unbeschwerte Leben dieses hochbegabten Mannes. Chanel habe den Frauen die Freiheit gegeben, Yves Saint Laurent die Macht, heißt es bis heute. Le Smoking, die Safarijacke, Stoffe von Transparenz, folkloristische Anleihen, die ersten schwarzen Frauen auf internationalen Laufstegen: auf dem Felde der Mode war Yves Saint Laurent ein Revolutionär der Eleganz.


Während die übersichtliche Sonderausstellung „L’ Art de la Forme“, die Entwürfe der Maison den Arbeiten der Künstlerin Claudia Wieser gegenüberstellt, nicht wirklich überzeugt, ist das Betreten des Ateliers im ersten Stock mehr als berührend. Für das Publikum arrangiert, zeigt der Raum ikonische Inspirationsquellen des Couturiers: Bildbände großer Maler, der opulente Schmuck seiner Muse Loulou de La Falaise, geschliffene Edelsteine und Stoffmuster liegen in geordneter Zufälligkeit auf den großen Tischen, als hätte Yves Saint Laurent den strahlend weißen Raum, der nahezu 30 Jahre lang das kreative Zentrum seiner Kunst war, gerade erst verlassen. Als ich zurück auf die inzwischen dämmrigen Straßen trete, scheint es mir, als hätte die ganze Stadt ein glitzerndes Kleid für die Abendstunden angelegt. Die Suggestion entspringt jedoch wahrscheinlich mehr meiner inneren Gestimmtheit als der Realität.


Aber vermutlich kann man eben an keinem anderen Ort der Welt so wunderbar der Realität entfliehen wie in Paris und deshalb setzen wir unseren ästhetischen Eskapismus gleich am nächsten Tag mit dem Besuch eines weiteren Modemuseums fort. Auf der anderen Seite der Champs Elysées in der 30 Avenue Montaigne hat ein Tempel, ja ein Paradies für jede Modeliebhaberin und jeden Modeliebhaber eröffnet. „Dieses erst kürzlich umgestaltete und veredelte „Refugium des Wunderbaren“, seit seiner Gründung das Herzstück der Maison Dior, hat sich neu erfunden und ist nun das Zuhause von La Galerie Dior, ein Zeugnis für den visionären Freigeist von Christian Dior und seinen sechs Nachfolgern: Yves Saint Laurent, Marc Bohan, Gianfranco Ferré, John Galliano, Raf Simons und Maria Grazia Chiuri.“ So jubelt man auf der Homepage des Hauses und hat damit aber nicht übertrieben. Bereits der Einlass ist spektakulär. Den Innenarchitekten ist hier ein wahrhaft meisterhafter Coup gelungen. Die elegant geschwungene weiße Wendeltreppe wird rundum von die gesamte Höhe der Stockwerke einnehmenden Schaukästen begleitet. Alle ikonischen Entwürfe des Hauses Dior präsentieren sich hier im kleinen Maßstab in jeder erdenklichen Farbe des Regenbogens. Niemals wird es auch nur einer einzigen Besucherin gelingen diese Treppe ohne Unterbrechung hinauf- oder hinabzugehen und dabei der Versuchung zu widerstehen das perfekte (Instagram)Foto zu schießen.

Im ersten Raum in einem der oberen Stockwerke reist man aber zunächst in die Vergangenheit. Hier wird erzählt, wie aus dem feinsinnigen wohlhabenden Fabrikantensohn einer der stilprägendsten Designer des 20. Jahrhunderts wurde: Wir erfahren von seiner Vorliebe für die Farben Grau und Rosa, die von der Fassade und den Kieswegen des weitläufigen elterlichen Anwesens herrührte. Hier entstand auch die lebenslange Leidenschaft für Blumen insbesondere Rosen und Maiglöckchen, welche Dior in dem zauberhaften Satz formulierte: Blumen sind, außer den Frauen, das schönste Geschenk, das Gott der Welt gemacht hat. Wir begleiten ihn durch die Jahre seiner goldenen Jugend, die er in den Künstlerkreisen von Paris verbrachte und wo bald sein Zeichentalent entdeckt wurde. Nach den Jahren des Krieges und der Entbehrungen gelang Dior schließlich ein wahrer Geniestreich. Unter Mitarbeit des damals noch gänzlich unbekannten Pierre Cardin entstand die so berühmte Kollektion der er den Namen Ligne Corolle gab, da ihn die Silhouetten an umgedrehte Blütenkelche erinnerten. Das Herzstück dieser Linie war ein Kostüm bestehend aus einem fast unerhört verschwenderisch weit schwingenden Faltenrock aus schwarzer Wolle sowie einer schmal geschnittenen, eng taillierten Jacke aus elfenbeinfarbener Shantungseide. Carmel Snow, die Chefredakteurin von Harper’s Bazaar, schrieb begeistert: „My dear Christian, your dresses have such a new look!“ Der New Look war geboren.


Der frühe Tod Diors jedoch bringt im Laufe der kommenden Jahrzehnte viele Veränderungen für das Haus. Der gerade einmal 22-jährige Yves Saint Laurent wird Nachfolger des Gründers. Auf ihn folgen viele bekannte Namen bis zum Jahre 2016 mit der früheren Valentino Designerin Maria Grazia Chiuri die erste Frau an die Spitze des Hauses berufen wird. All diese Stationen, die Inspirationen, die feinen Details, die Genialität der Entwürfe, kurzum die überwältigende Schönheit der Mode zeigt dieser Ort als sinnlich (be)rauschendes Fest, auf dem das Staunen kein Ende nehmen mag. Die Räume sind so apart miteinander verwoben, dass man sich nach kürzester Zeit tatsächlich in einem Paralleluniversum wähnt. Selbst die freundlichen Näherinnen, die Petites Mains, die an einem Tisch für das interessierte Publikum ihrer Kunst nachgehen, wirken als seien sie direkt aus dem Modehimmel herabgeschwebt. Oder wie Christian Dior es so trefflich formulierte: „Mode kommt aus einer Traumwelt. Und Träume sind die Rettung vor der Wirklichkeit.“ Welch wahrer Satz in Zeiten wie diesen.


https://www.palaisgalliera.paris.fr

https://museeyslparis.com/en/

https://www.galeriedior.com/de

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