top of page

Gedanken zu zwei Tagen in Wien

Kunsthistorisches Museum Wien, Albertina
Arcimboldo-Bassano-Bruegel. Die Zeiten der Natur
Leonardo-Dürer. Meisterzeichnungen der Renaissance auf farbigem Grund

"Bella gerant alii, tu felix Austria nube."

Die Heiratspolitik der Habsburger war legendär. Nicht dem Prinzip der Romantik folgend als vielmehr von kühlem Kalkül geprägt, überzog über viele Jahrhunderte hinweg ein dicht gespanntes Netz aus Verwandtschaftsehen die Fürstenthrone Europas. Bis heute können in Madrid und Wien die bildgewordenen Zeugnisse dieser Ehepolitik bewundert werden, waren Porträts doch die einzige Möglichkeit dem hunderte von Kilometern entfernten zukünftigen Partner einen Eindruck der äußeren Gestalt zu vermitteln.


Haben wir vor wenigen Wochen in der spanischen Hauptstadt Philipp II. betrachtet, begegnet uns nun im Kunsthistorischen Museum seine vierte Ehefrau Anna. Das Gemälde wurde vermutlich kurz nach der Vermählung 1570 in Spanien zurück an den Wiener Hof gesandt, woher die junge Erzherzogin stammte. Ein sanftes blondes Mädchen von gerade einmal 21 Jahren blickt zurückhaltend auf sein Gegenüber. Sacht legt sie die bloße Hand auf den samtenen Thronsessel, der neben ihr steht und ihre zukünftige Rolle als Regentin symbolisiert. Die junge Königin ist in schwere, die schmale Gestalt fest umschließende Kleider gewandet, die nur wenig Bewegungsspielraum lassen. Diesen hatte sie auch im übertragenen Sinne nicht. Ursprünglich war Anna nicht als Braut für ihren Onkel Philipp, sondern für dessen Sohn Don Carlos als Gattin vorgesehen. Als dieser jedoch in jungen Jahren verstarb, übernahm kurzerhand der Vater, bereits zum dritten Male verwitwet, die eigene Nichte als Ehefrau; nichts Ungewöhnliches im Hause Habsburg.


Auch das zauberhafte Porträt der beiden Töchter Philipps aus seiner dritten Ehe mit Elisabeth von Valois haben wir erst kürzlich in Madrid betrachtet. Isabella Clara Eugenia, die ältere der Infantinnen, übernahm später als Statthalterin die südlichen Niederlande. Hier in Wien ist sie als kunstaffine Mäzenin und Stifterin anzutreffen. Den Ildefonso-Atar hatte sie bei ihrem Lieblingskünstler für die gleichnamige Bruderschaft in Brüssel in Auftrag gegeben. Das Triptychon ist eines der großen Meisterwerke von Rubens‘ Hand. Die Madonna erscheint in überirdischem Glanz und überreicht dem hl. Ildefonso ein Messgewand. Die Seitenflügel zeigen die Habsburgerin und ihren Gemahl von ihren Schutzpatronen, dem hl. Albrecht von Löwen und der hl. Elisabeth von Ungarn, begleitet. Mit koloristischer Brillanz verschmilzt der Barockkünstler die Erhabenheit des Heiligen mit der menschlichen Gefühlswelt zu einer harmonischen Einheit.


Einer, der sich der Ehepolitik seiner Familie erfolgreich entzog war Rudolf II., der Bruder Annas. Ursprünglich als Gatte für seine Cousine Isabella Clara Eugenia vorgesehen, die jedoch nach 18-jähriger Verlobungszeit die Verbindung löste und Rudolfs Bruder Albrecht ehelichte, ging er nicht als Vater zahlreicher Nachkommen für die Dynastie Habsburg in die Geschichte ein, sondern als einer der größten Kunstsammler. Sein Kaiserhof war europaweit berühmt. Als Prager Schule bezeichnet man bis heute eine Gruppe erstrangiger Künstler, die Rudolf an seinen Hof geholt hatte. Besondere Privilegien, wie Studienreisen nach Italien und die Niederlande, hohe Gehälter und Adelstitel, machten das Arbeiten für den psychisch außerordentlich instabilen Monarchen dennoch attraktiv. Prag avancierte zum Zentrum des Manierismus nördlich der Alpen. Rudolf, wie bereits seine Vorgänger Ferdinand und Maximilian, war jedoch nicht nur kunsthistorisch interessiert, sondern auch an allen Arten von Wissenschaften.

Die Zeiten der Natur

Ein Maler, der dieses Zusammenspiel von Kunst und Natur vermutlich wie nur wenige andere verkörpert, ist Arcimboldo. Ihm und zwei weiteren Zeitgenossen widmet das Kunsthistorische Museum in Wien die große Frühlingsausstellung „Arcimboldo-Bassano-Bruegel. Die Zeiten der Natur.“ Die Schau erörtert die Frage nach dem Wechselspiel von Mensch, Natur und Zeit anhand von 140 Meisterwerken und vermittelt einen überaus spannenden Eindruck von der Kunst- und Wissenschaftskultur des 16. Jahrhunderts, einer Epoche des tiefgreifenden Umbruchs, in der neue Erkenntnisse und Entdeckungen die Lebenswelt der Menschen prägten.


Arcimboldo gab dieser Zeit eine hochindividuelle Bildsprache. Auf einzigartige Weise zeigt er in seinen zu Recht so berühmten Kompositköpfen das Verwobensein des Menschen mit der Natur und den jahreszeitlichen Verläufen. Was auf den ersten Blick einem Monster gleicht, erweist sich als hochartifizielles Gesamtkunstwerk. Besonders faszinierend ist die aus unzähligen Wildtieren bestehende Personifikation der Erde. Klug hat der Künstler auch panegyrisch äußerst komplexe Inhalte in diese Darstellung hineinkomponiert. So steht der präsente Widder an der Brust für den Orden vom goldenen Vlies, die höchste Auszeichnung der Habsburger. Ein stets mit Herkules assoziiertes Löwenfell am Rücken spielt auf die Stärke der Dynastie an. Geschmückt wird der Kopf der Allegorie aus einer Krone von Geweihen, wodurch die Habsburger auch als Herrscher über die Natur ausgewiesen sind. Neben diesen symbolträchtigen Tieren tummeln sich aber noch etliche weitere: ein Kaninchen formt die Nase, ein kleiner Leopardenkopf das Kinn, während sich das Auge in Wahrheit als aufgerissenes Maul eines Hundes erweist, und selbst ein Äffchen darf an der Rückseite des Kopfes herumturnen. 

Ohne aufwändige Studien unmittelbar vor den Tieren wäre eine solch naturgetreue Darstellung nicht möglich gewesen. Der Künstler fand in der kaiserlichen Menagerie beste Bedingungen vor. Mit seinen teste composte lobte und erfreute Arcimboldo jedoch nicht nur das Kaiserhaus, er stellte sich auch in einen Wettstreit mit der Antike. Können seine Bilder doch als Beitrag zur Vier-Elemente-Lehre gelesen werden, die am Kaiserhof intensiv diskutiert wurde.


Belegen Arcimboldos Bilder eine sehr exzentrische Art der Auseinandersetzung des vielschichtigen Themenfeldes Mensch-Natur-Zeit, haben die anderen Künstler der Ausstellung einen zwar traditionelleren, dafür aber nicht weniger relevanten Weg gewählt. Mit seinem ursprünglich sechsteiligen Jahreszeiten Zyklus – Frühling und Sommer erhielten zur damaligen Zeit jeweils noch eine zusätzliche Unterteilung – schuf Bruegel ikonische Werke. Noch nie wurde das Verhältnis zwischen dem Wechsel der Jahreszeiten und dem Lebenskreislauf des Menschen in solch beeindruckenden Großformaten dargestellt. Als beliebtes Bildmotiv hatte es diesen Themenkreis bisher nur in der Buchmalerei gegeben.


Der reiche Kaufmann Nicolaes Jongelinck hatte Bruegels Bilderserie für seinen Landsitz in der Nähe von Antwerpen erworben. Reihum an den Zimmerwänden angebracht, traten sie im Sinne der Aemulatio in Wettstreit mit der realen Natur, die durch die Fensteröffnungen zwischen den Gemälden zu sehen war. Die wohlhabende Gesellschaft, die sich in diesem Speisesaal zusammenfand, schien am Kontrast der von Bruegel so virtuos, jedoch niemals abfällig gezeichneten harten Welt der Bauern und ihrem eigenen luxuriösen Lebensumfeld Geschmack gefunden zu haben. Künstlerisch interessiert und kulturaffin beschauten Jongelincks Gäste das karge, durch die kleine Eiszeit zusätzlich beschwerte Leben der Bauern. Als humanistisch gebildete Individuen traten sie Menschen gegenüber, die nur in Gruppen gezeigt wurden. Auch Bruegel stellt die Bauern stets als Gemeinschaft in den Dienst ihrer Tätigkeit. Ihr Tun, nicht ihr Sein charakterisiert sie als Menschen. Statt ihrer Köpfe tragen die Arbeiterinnen und Arbeiter in dem Gemälde „Die Heuernte“ gefüllte Körbe auf ihren Schultern.


In den Monatsdarstellungen der Malerfamilie Bassano kommt eine weitere Sinnebene hinzu. Jacopo Bassano setzt sich Mitte des 16. Jahrhunderts nicht nur mit der Beziehung von Mensch und Natur auseinander, sondern fügt den jeweiligen Monaten religiöse Szenen bei. Diese verortet er in der ländlichen Landschaft Venetiens, die als Kulisse für Episoden aus dem Alten und Neuen Testament dient. Seine Darstellungen bäuerlicher Tätigkeiten veranschaulichen den Alltag seiner Heimat im zyklischen Rhythmus der Natur – verbunden mit einer tiefen Religiosität. Den Erfolg dieser Serien, die in großer Anzahl die Bassano Werkstatt verließen, zeigt die Ausstellung in Wien in beeindruckendem Ausmaß. Vertreten ist beispielsweise auch eine Serie mit der besonderen Spielart, dass die biblischen Szenen, einem vermehrten Unterhaltungsbedürfnis der höfischen Gesellschaft geschuldet, von phantasievoll gestalteten Sternzeichen ersetzt werden.


Wir verlassen dieses überreiche Museum, um im Nachbarhaus nur wenige Meter entfernt einem weiteren Gipfeltreffen beiwohnen zu dürfen.

Carta azzurra

In der Albertina werden die Großmeister Leonardo und Dürer neben weiteren Künstlern als Virtuosen einer ganz besonderen Technik der Zeichnung gefeiert. Nicht auf hellem Grund, sondern auf getönten und gefärbten Papieren setzten sie ihre kostbaren Linien. Es ist zwar nur ein kleines Detail, das im Mittelpunkt dieser ästhetisch kuratierten Schau steht, es erweitert das Wirkungsspektrum dieser Gattung jedoch ungemein. Seit der Renaissance kam dem disegno in Italien eine besondere Bedeutung zu. Giorgio Vasari schlichtete den Disput um die Vorherrschaft der Kunstgattungen mit dem Verweis, dass Architektur, Bildhauerkunst und Malerei Schwestern seien, die alle vom selben Vater abstammten: dem disegno. Die Zeichnung galt als Grundlage eines jeglichen künstlerischen Schaffens.


Mit dem Ersetzen des üblicherweise hellen Untergrundes durch einen farbigen geschah nun vielerlei: Der charakteristische Kontrast zur schwarzen Linie wird abgeschwächt, wodurch eine Harmonisierung des Seherlebnisses eintritt. Das Aufkommen der Farbe bewirkt eine zusätzliche Aufwertung der Bildwerke, da der Eindruck materieller Kostbarkeit entsteht. Die wichtigste Neuerung ist aber die Erweiterung der Skala von Hell und Dunkel: Da der Bildgrund nun farblich in der Mitte steht, kann zeichnerisch in beide Richtungen gearbeitet werden. Die Bandbreite dieser neuen Möglichkeiten lässt sich in der Ausstellung der Albertina bestaunen. Sachte vorantastend zeigen sich die frühen Blätter aus dem 15. Jahrhundert. Nur zart sind die Papiere getönt, als wolle man sich dem farbigen Grund erst mit Bedacht nähern. Sanft heben sich die Figuren und Tiere ab, ohne jedoch schon die Möglichkeit der Helligkeitswerte auszuloten. Wie auf Musterblättern jener Zeit üblich herrscht kein Kompositionswille vor, vielmehr werden die Skizzen und Studien frei über das Blatt verteilt. Die höfisch eleganten Figuren zeugen von einem nahezu tänzerischen Suchen und Finden der passenden Form.


Nicht satt sehen kann ich mich an einem kleinen Blatt, das ich schon häufiger das Vergnügen hatte in Augenschein nehmen zu dürfen. Ich denke aber, der in extravaganter Nacktheit lagernden Dame mit der aufwändigen Blumenfrisur gefiele die große Aufmerksamkeit, die ihr zuteilwird. Pisanello hat eine ganz eigene Version der Luxuria geschaffen, die sich sehr von den schlangenzerfressenden, ausgemergelten Darstellungen des Mittelalters unterschiedet. Stattdessen wird in Anlehnung an die Antike nicht ihre Verdorbenheit, sondern ihre an Venus erinnernde Verführungskraft geschildert. Ein zauberhafter Hase darf gnädig zu ihren Füßen spielen.


Mit Leonardo erfährt die Technik schließlich jene Virtuosität, die einen bei so manchem Blatt vergessen lässt, dass man es doch „nur“ mit einer Zeichnung zu tun hat. Seine Studien, die er im Zuge des für Francesco Sforza geplanten, jedoch nicht zur Ausführung gelangten Reiterstandbildes anfertigte, machen bisweilen sogar glauben, es handele sich um ein dreidimensionales Kunstwerk. Der Künstler liebte Pferde. Nicht müde wurde er ihre äußere Gestalt und Wesenheit in Skizzenblättern festzuhalten. Der strahlend azurblaue Untergrund schenkt dem Künstler alle Möglichkeiten. Mit hellen Glanzlichtern in feinster Strichschraffur werden Fellstruktur und Rundungen herausmodelliert. Die Dynamik und elegante Beweglichkeit der Tiere vermag Leonardo durch ein leichtes Verwischen der weißen Farbe zu illusionieren. Von anderer Art sind die bezaubernden Studien, die Leonardo im Vorfeld seiner Annaselbdritt anfertigte. Bereits zu Lebzeiten des Künstlers war die Komposition aus Anna, Maria und dem Jesuskind, das ein Lamm umhalst, hochberühmt. Vor allem die Gesten machen die stimmungsvolle Verbundenheit des Bildes aus. Auf diese beziehen sich die in der Albertina gezeigten Blätter. Marias zärtlicher Arm, der ihr Kind beschützend und liebkosend umfasst, wurde auf orangegrundiertem Papier angelegt und zeigt jene Anmut, die der Grundtenor des gesamten Gemäldes ist. Auf der Rückseite befinden sich einige Varianten zur Bewegung des Jesuskindes, das sich durch seine Kopfwendung mit der Mutter verbindet, die Händchen aber nach dem Lamm ausgestreckt hält. Alles steht zueinander in Beziehung und trägt zur großen harmonischen Schönheit des Ganzen bei. An den Zeichnungen lässt sich dieser Grundsatz der Renaissancemalerei vortrefflich studieren. Allein nur für diese Blätter hätte sich die Reise nach Wien gelohnt.


Leonardos nördlicher Kollege Albrecht Dürer steht diesem Kunstvermögen aber in nichts nach. Auch er ist mit zahlreichen Blättern vertreten. Das Konzipieren von Einzelheiten, das Entwickeln von Varianten, vor allem aber die Verteilung von Licht- und Schattenwerten lernte Dürer mit dem Zeichnen auf farbigem Grund erst in Italien kennen. Seine in Venedig entstandenen Gemälde begleiten erstmalig derartige Studien. Hierfür verwendete er die carta azzurra, ein an sich minderwertiges, jedoch in einem kühlen Blauton eingefärbtes Papier. Seine in der Albertina ausgestellten Draperiestudien wirken aufgrund ihrer Ausschnitthaftigkeit und der Konzentration auf das Wesentliche bemerkenswert modern, ja nahezu abstrakt. Natürlich bewundern wir die ernste Frömmigkeit der so berühmten zum Gebet gefalteten Hände, die eine Vorstudie zum Heller-Altar bildeten, genau wie der himmelwärts blickende Apostelkopf, der aufgrund seines Lebensreichtums einfach nur staunen macht. Von bezauberndem Liebreiz sind die beiden so individuell gezeichneten Köpfe eines Engels und des Jesusknaben. Beide sind Vorstudien für spätere Gemälde, die Dürer in Venedig angefertigt hat. Ursprünglich auf einem zusammenhängenden Blatt gezeichnet, lässt sich der hohe Stellenwert erkennen, den Dürer der eigenen Zeichenkunst beimaß. Nichts lässt mehr an die mittelalterlichen Werkstattgepflogenheiten nördlich der Alpen denken, die in Skizzen und Studien lediglich ein handwerkliches Arbeitsmaterial sahen. Wie ein fertiges Gemälde versieht Dürer das Blatt mit seiner großen Signatur. Im Vergleich zu den späteren Werkfassungen wird offensichtlich, dass die Entwürfe in ihrer koloristischen Feinheit, der sorgsamen Aufmerksamkeit für die Linie sowie den glänzend modellierenden Licht- und Dunkelwerten eine einzigartige Schönheit entwickeln, die nur ihnen zu eigen sind.


Zum Ende der Ausstellung schließt sich der Kreis. Wie die älteren Schwestern der lasziven Luxuria Pisanellos gebärden sich die Mädchen und Frauen von Hans Baldung Grien. In Ermangelung genauer Kenntnisse, was genau auf diesen Blättern zu sehen ist, gab man ihnen in späterer Zeit den Namen Hexensabbat. Das ungehörige Treiben der Damen lässt es bis heute nötig erscheinen, dass die Kuratoren den Raum mit einem warnenden Hinweis versehen, hier seien verstörende Inhalte zu sehen. Interessanter scheint mir doch die Tatsache, dass dieses Blatt für einen anscheinend dem Weltlichen nicht allzu abgeneigten Kleriker als Neujahrsgruß für das Jahr 1514 erschaffen wurde.


https://www.khm.at

https://www.albertina.at

bottom of page