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Katalogtext zur Ausstellung „Full house“ von Cornelia Schleime

Cornelia Schleimes neue Werkreihe unterstreicht die herausragende Bedeutung dieser preisgekrönten deutschen Figurenmalerin:

Unter dem Rand eines schwarzen Zylinders blickt eine androgyne Schönheit überlegen und doch versonnen in die Ferne. Das bereits entzündete Streichholz hält sie nonchalant in der rechten Hand. Angesichts des feurigen Gegenstandes löst ihre Coolness ein kleines Unbehagen aus. Um den Hals trägt sie dekorativ aufgefächert ein ganzes Kartenspiel. Ihren Kopf umflattern elegante weiße Tauben. Sie gibt selbstbewusst die Rolle eines Zauberkünstlers, der allein die Spielregeln kennt. Das Werk (Abb. 1) trägt den Titel der Ausstellung: „Full house“.

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In ihren aktuellen Gemälden lässt Cornelia Schleime eine ganze Armada höchst individueller Figuren aufmarschieren, die einer Phantasiearmee entsprungen scheinen. Auf Antlitz und Oberkörper beschränkt, werden die nahezu porträthaft ausgebildeten Gesichter kontrastreich von opulentem, phantastischem Kopfschmuck umrahmt, der Schmuck und Schutz zugleich ist. Ob die Damen und Herren, aufgrund ihres bisweilen noch sehr jungen Alters, dieses Schutzes bedürfen, muss dahingestellt bleiben.

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Bereits ein flüchtiger Blick offenbart das feine Verwirrspiel, das Cornelia Schleime elegant auf mehreren Ebenen vor dem Betrachter entfaltet. Denn was die Intention dieser zarten und doch starken Gestalten ist, was sie vielleicht hinter ihrer plakativen Kostümierung im Schilde führen, ist nur schwer zu erahnen. Vorsehen sollte man sich in jedem Fall vor ihrer scheinbaren Harmlosigkeit. Von naiver Oberflächlichkeit sind diese hübschen Jungs und Mädchen nämlich weit entfernt. Zum Greifen nah werden sie zwar an den Betrachter herangeführt, halten innerlich aber dennoch eine kühle Distanz.

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Cornelia Schleimes Bilder spielen mit der Faszination des Geheimnisvoll-Widersprüchlichen. „Durch meine Malerei hebe ich die Grenzen zwischen äußerer und innerer Welt auf. Halt gibt mir das Unvorhersehbare, Irrationale, Fragile, Zufällige, Eruptive“, sagt sie selbst über ihr Kunstschaffen. Mann oder Frau, Junge oder Mädchen, Bedrohung oder Angst, Ernst oder Spiel, Wachen oder Träumen, Wahrheit oder Illusion, Realität oder Phantasiewelt? Die Künstlerin ersetzt in all ihren Bildern das „Entweder-Oder“ durch ein „Sowohl-als-Auch“. Ihre Gestalten sind stets beides, lassen sich weder festlegen noch klassifizieren, vielmehr oszillieren sie in ihrer Wandlungsfähigkeit zwischen den Polen.

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Temperamentvoll geht das Bildpersonal dabei mit der bisweilen fulminant ausfallenden Wahl seiner Kopfbedeckungen um, die zur Charakterisierung seines Wesens genauso beiträgt wie der Name. Mit welch anderem Attribut als Hörnern sollte sich eine „Infantin“ (Abb. 2), als zukünftige Gebieterin, schon schmücken? Als wehrhaftes Geweih, rückwärtig ausgerichtet, können sie Angreifer und Verfolger in Angst und Schrecken versetzen. Die „Windfängerin“ (Abb. 3) macht sich die gewaltige Freiheit und Weisheit der Eule zu Nutze und hat sie kurzerhand zu ihrer Entourage erklärt. Als wäre sie sich der stürmischen Kraft im Nacken in keiner Weise bewusst, ringelt sie eine Strähne ihres schwarzen Haares kokett um den Finger.

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Stets wirkt es so, als gründe die Stärke dieser Frauen gerade darin, dass sie sich der Bedeutung ihrer Macht gar nicht bewusst sind. Ihre mutige Unbedarftheit erlaubt ihnen Attribute, ob Tiere oder Masken, anzunehmen, die weniger Beherzten einen Schauer über den Rücken jagen würden. Oder wer könnte es wagen, zwei auffällig schöne schwarze Schwäne (Abb. 4) adrett zur Schleife zu binden um sie als Mundschutz gegen bevorstehende Gefahren zu nutzen? Unergründbar gibt sich der „Diener zweier Herren“ (Abb. 5). Er bleibt sich mit der großflächigen Gesichtsbedeckung wohl selbst das größte Rätsel. Kontrastreich dazu hat sich die „Colombina“ (Abb. 6) mit einem weit über die Lippenkontur geschminkten roten Mund und auffällig in Wellen gelegtem Haarschmuck verkleidet. Dezenz ist nicht ihre Sache. Legt ihre Kollegin deshalb mit einem „Pst“ (Abb. 7) den Finger leise mahnend auf den Mund?

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Oder ermahnt sie die Kinder? Deren Kopfbedeckungen fallen zwar noch nicht so extravagant aus, doch steht zu vermuten, dass sie demnächst zu ähnlichen Kostümierungen greifen wie die Erwachsenen. Noch sucht das kleine Mädchen mit den großen Augen Schutz „Zwischen den Zeilen“ (Abb. 8), bald aber wird es seinen Platz hinter den Zweigen aufgeben. Mit dem die Gestalt eng umspannenden Plaid und dem einfachen Kopftuch scheint es sich für die kommenden Herausforderungen bereits gewappnet zu haben. Wer wie der „Kleine Lord“ (Abb. 9) von Natur aus mit solch einer prächtig leuchtend roten Haarmähne ausgestattet ist, greift – sehr sophisticated – als einzigem Accessoires zum flauschig weißen Fellkrägelchen. Auch „In Fächern verweht“ (Abb. 10) wird die Aufmerksamkeit des Betrachters mit einer weißen Krause auf die Halspartie gelenkt, die, mit einer schlichten, schwarzen, den Kopf eng umschließenden, Schutzhaube kontrastiert. Zukunftsweisend schweift der Blick des Mädchens in weite, luftige Ferne.

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Mit ihrem einzigartigen Blick auf die menschliche Gestalt beschreitet die Malerin einen außergewöhnlichen Weg innerhalb der Figurenmalerei. Sie konzentriert sich auf die Darstellung des Menschen als singulärer Persönlichkeit. Den Reichtum der inneren Ambivalenz ihres Figurenpersonals macht die Künstlerin durch die opulenten  Accessoires nach außen hin sichtbar. Mit ihrem kompositorischen Spiel unerwarteter Attribute wird die Ambiguität der menschlichen Existenz visualisiert.

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Nicht nur auf der inhaltlichen Ebene sondern auch in technischer Hinsicht findet Cornelia Schleime höchst individuelle Lösungen. Nach ihrer eigenen Aussage wäre die Ölfarbe ihre erste Wahl. Diese kann jedoch mit der Spontanität der Malerin nicht mithalten. Und so greift sie zu einer sehr eigenwilligen Mischung. Der Acrylfarbe wird eine gehörige Portion Sinnlichkeit verliehen durch die Zugabe von Schellack. Kapriziös erscheint die Kombination dieser technischen Mittel, wenn man bedenkt wie lichtempfindlich der Umgang mit diesem Material ist und mit welch fein verdünnten Lasuren die geforderte Transparenz bisweilen erst erzielt wird. Den robusten Gegenpart dazu bildet das Überarbeiten mit Asphaltlack, der in seiner Unberechenbarkeit der Impulsivität der Künstlerin zu entsprechen scheint. Cornelia Schleimes Oeuvre ist sowohl auf technisch-formaler als auch auf motivisch-inhaltlicher Ebene durch die intuitive, kluge Austarierung der Gegensätze gekennzeichnet.

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Erst diese Varietas, die Verschiedenheit der einzelnen Bildelemente und ihr Zusammenfassen in ein harmonisches Gesamtbild, machen aus einem Werk ein Kunstwerk. Cornelia Schleimes Figurenbilder erscheinen wie die zeitgenössische Interpretation dieses künstlerischen Ansatzes, der erstmals in der Renaissance formuliert worden war. Ihre wirkliche Modernität besteht darin, vor der Schönheit, die in der Kunstwelt so sehr in Verruf geraten ist, keinerlei Angst zu haben. Ebenso wenig fürchtet sie die großen Heroen der Kunstgeschichte. Vielmehr bekennt sich die Malerin zu ihnen, wenn man sie nach ihren kreativen Wurzeln fragt.

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So ist es nicht verwunderlich, dass sich die Künstlerin in ihrem Schaffen eines weiteren kunsthistorisch lang tradierten Prinzips bedient: Die Trennung in colore und disegno. So betont auch Cornelia Schleime bisher die Differenzierung ihres Oeuvres in eher zarte, von der Linie geprägte Papierarbeiten und großformatige Gemälde, in denen die Farbe in all ihrer Ausdruckskraft eingesetzt wird. Nun „rücken die Leinwandbilder näher an die Zeichnung“, betont die Malerin. Dementsprechend erleben wir in ihren aktuellen Werken eine motivische Annäherung von Malerei und Zeichnung.

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Dabei kommt ihr eine neue technische Variante zugute, die die Künstlerin während eines Aufenthaltes auf den kanarischen Inseln für sich entdeckt hat. Erstmals verwendet Cornelia Schleime in ihrer Reihe „Seidenspinner“ als Bildträger statt Papier Seide. Wobei diese von den zarttransparenten Farben nicht gänzlich überdeckt wird, sondern in ihrer Stofflichkeit und Haptik sicht- und erfahrbar bleibt und damit prägend für den Gesamteindruck der Bilder ist. Hinsichtlich der eleganten Mädchenthematik erhält die Seide zudem eine subtile ikonologische Aussagekraft. Ist die Zartheit des Materials der Grund, warum sich diese Seidenmädchen etwas weniger extravagant gebärden als ihre auf Leinwand gemalten KollegInnen?

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