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Laudatio Hans Lankes

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist mir eine Ehre heute Abend die Laudatio auf den Künstler Hans Lankes halten zu dürfen. Haben Sie herzlichen Dank für die freundliche Einladung.

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Vielleicht gestatten Sie mir, dass ich zu Beginn einen kleinen Haken schlage bevor ich medias in res gehe.

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Als ich das Angebot bekam heute Abend hier zu sprechen, habe ich vermutlich das gemacht, was jeder in dieser Situation gemacht hätte. Ich habe mich schlau gemacht. Und zwar wie es sich gehört, fing ich bei den Grundlagen an: bei der Technik. Ich las sehr Wissenswertes und für mich Neues über den Begriff der Silhouette, der bekanntermaßen von dem französischen Finanzminister Etienne de Silhouette stammt, der in Zeiten der Kostenreduzierung die teuren Ölporträts durch einfachere Scherenschnitte ersetzte. Ich erinnerte mich in diesem Zusammenhang an die zauberhaften Szenen des Kinofilms über den jungen Goethe, der zu einer Zeit spielt, als der Scherenschnitt zu einer beliebten, vor allem herbstlichen, Abendbeschäftigung des  Bürgertums gehörte. Ich dachte an die filigranen kleinen Meisterwerke eines Philipp Otto Runge, die ich erst kürzlich in einer Ausstellung gesehen hatte.

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Und natürlich las ich alle Äußerungen zu und von Hans Lankes, die ich nur irgendwo finden konnte. Aber wenn ich ehrlich bin machte all dieser Informationszuwachs die Sache nicht wirklich einfacher.

 

In meiner bisherigen Kunsthistorikerinnentätigkeit habe ich mich vornehmlich mit der alten Kunst beschäftigt beispielsweise eines Dürer, Rembrandt oder Cranach. Künstler, deren Werke, die Zeit überdauern, deren Persönlichkeiten wir nur noch rekonstruieren können und im Falle einer Missdeutung nicht einmal wissen, dass wir daneben liegen.

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Nun steht Hans Lankes aber hier im Raum. Und ein Satz aus einem interview hat sich in meinem Gehirn festgesetzt und wurde leitend für meine Vorbereitung: Psychotherapeutinnen haben in seinem Atelier Hausverbot, ob der Gefahr der Überinterpretation. Man sagt dies also dieser Berufsgruppe nach, ich befürchte jedoch, dass mein Berufsstand davor auch nicht wirklich gefeit ist.

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Was ist also zu tun? Ich habe das gemacht, was ich meinen Studenten rate, vor solch einer Aufgabe. Sie sollen sich konzentrieren und hinschauen. Und das habe ich dann auch getan und mich dabei erst einmal auf die Technik konzentriert.

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Aus meiner Berufserfahrung weiß ich, dass koloristisch auf ein Höchstmaß reduzierte Werke, wie die von Hans Lankes, eine gewisse Schwellenüberwindung beim Betrachter erfordern. Die Farbe fehlt und sie ist es ja, die das Auge lockt und anzieht für gewöhnlich. Will ich die Messerschnitte von Hans Lankes erst einmal vorikonografisch beschreiben, dann kommen mir vornehmlich Begriffe in den Sinn:

 

klar, unaufgeregt, präzise, scharf, scharfsinnig, hart, exakt, ja oder nein, entweder oder, weiß oder schwarz. Kein sowohl als auch, keine Kompromisse, kein Lavieren.

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Ich freute mich als es diese Begriffe waren, die ich später auch noch einmal aus seinem Munde hörte, als er über seine Arbeiten selbst sprach. Es sind Papierarbeiten, und dennoch fühlte ich mich erinnert an die Argumente mit denen Giorgio Vasari im Paragonestreit des 16. Jahrhunderts die Vorzüge der Bildhauerkunst lobte:

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„Aber als letztes und stärkstes Element führen sie an, dass der Bildhauer nicht nur die Vollkommenheit des gewöhnlichen Urteils brauche, wie der Maler, sondern ein absolutes rasches Urteilsvermögen, durch das er schon das gesamte Aussehen der im Marmorblock geplanten Figur erkenne. Wenn ihnen diese glückliche Urteilskraft fehle, würden sie leicht und oft eine jener Ungeschicklichkeiten begehen, für die es keine Berechtigung gebe, und die, einmal geschehen, immer Zeugen der Fehler des Meißels oder der geringen Verständigkeit des Künstlers seien. Dies könne den Malern nicht geschehen, denn bei jedem falschen Pinselstrich oder Mangel des Urteils, der ihnen unterlaufe, würden sie Zeit haben, die Fehler, mit dem gleichen Pinsel, der sie verursacht habe, wieder zu bedecken und zu berichtigen. Denn der Pinsel habe in ihren Händen diesen Vorzug, dass er nicht nur heile, sondern seine Wunden auch ohne Narben hinterlasse.“

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Diese Ausführungen kamen mir beim Anblick der Arbeiten von Hans Lankes unwillkürlich in den Sinn, da er augenscheinlich über diese glückliche Urteilskraft verfügt und auch ihr rasches Vermögen darüber. Sein Marmorblock ist das Papier. Nichts kann korrigiert oder rückgängig gemacht werden. Was geschnitten ist, ist geschnitten, was weg ist, ist weg. Kompromisslose Entschlusskraft und Freude an der Entscheidung, hat man den Eindruck, sind die Grundlage aller Arbeiten von Hans Lankes. Dazu gehört auch, dass die Arbeiten aus einem Stück gefertigt sind und nicht nachträglich zusammengesetzt.

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Und wenn ich nun schon einen Autoren aus dem 16. Jahrhundert zitiert habe, dann darf ich Ihnen verraten, dass es eines meiner großen Anliegen als Kunsthistorikerin ist, Kunst nicht immer nur epochen- oder zeitspezifisch zu betrachten. Dieses Jahr habe ich mich intensiv damit auseinandergesetzt, ob es denn so etwas wie ein universales Kriteriensystem geben könnte mit dem man sich der Kunst nähern kann, ob man neben der ganz individuellen Zugangsweise so etwas wie einen kleinen gedanklichen roten Faden im Kopf haben könnte, wenn man sich eingehender mit Kunst beschäftigt.

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Aufgrund des Studiums weiterer kunsttheoretischer Texte aus den vergangenen 5 Jahrhunderten haben sich 5 Kriterien herauskristallisiert, die ich, wenn Sie mir dies gestatten, nun auf die Werke Hans Lankes anwenden möchte.

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Ich beginne, wie ich es bereits eingangs angerissen habe, mit dem Handwerk, mit der von der Künstlerhand geschaffenen Technik.

Wichtig in unserem Fall ist die Betonung des verwendeten Handwerkzeuges: ein Messer, ein Cutter, keine Schere verwendet Hans Lankes um seine Werke anzufertigen. Dabei kam mir in den Sinn, dass es im Deutschen keine Unterscheidung in der Verwendung des Verbes gibt, ob ich etwas mit dem Messer oder mit der Schere schneide. Wir verwenden immer dieses eine Verb. Und dennoch macht es einen Unterschied. Wir sagen: etwas steht auf des Messersschneide etwas ist messerscharf, es ist ein Kampf bis aufs Messer, da geht einem das Messer in der Tasche auf, oder in unserem Fall besonders passend: ein Mann ohne Messer ist kein Mann.

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Sie merken, es ist das Messer, das den Kampf entscheidet, den Mann zum Mann macht, nicht die Schere. Ob und wieweit die Wahl dieses besonderen Kunstwerkzeuges, ihre andere Handhabung im Unterschied zur Schere, auch Einfluss auf die Motive von Hans Lankes hat, möchte ich hier offen lassen, damit ich mich nicht in eben die bereits erwähnte Psychotherapeutinnenfalle begebe. Der Künstler betont, dass die Technik nie Thema oder Inhalt seiner Arbeit ist. Dass Hans Lankes sein Werkzeug beherrscht mit einer Exaktheit von solcher Präzision, davon können wir uns alle hier überzeugen.

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Als zweites Kriterium möchte ich einen Aspekt anführen, der in unserer heutigen Zeit einen, ich will nicht sagen schlechten, aber dennoch sehr kritisch beäugten Ruf hat: nämlich die Schönheit. Ich sage es Ihnen ehrlich: Kunst hat und wird es für mich immer haben, auch mit der Frage nach Schönheit zu tun. Wie ich diese definieren möchte, das bleibt natürlich jedem selbst überlassen. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Schönheit bedeutet nicht Gefälligkeit, Leichtigkeit oder im schlimmsten Falle Kitsch, sondern: Rhythmus, Ordnung, Augenaufmerksamkeit, Komposition, Stärke, Faszination. Aber sie völlig zu negieren, halte ich gerade auch bei solchen Arbeiten für nicht weiterführend. Gerade in ihrer Entschiedenheit der Reduktion auf schwarz und weiß, verlangen die Werke von uns als Betrachter doch ebenfalls Entschlossenheit. Lasse ich mich auf die verwirrend schönen Motive ein, bevorzuge ich eher das Düster-Geheimnisvolle oder das ins abstrakte Ornament gehende?

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Und damit wären wir auch bereits bei dem dritten Aspekt. Ich habe mich hier des, wie ich finde, von Alois Riegl so passend eingeführten Begriffes des Kunstwollens bedient. Er beschreibt ein Phänomen, das jeder Künstler in sich trägt, einen Trieb, Kunst schaffen zu müssen. Hans Lankes hat dafür eine ebenso wunderbare Metapher gefunden. Auf die Frage. Warum Kunst? Antwortet er: Warum atmen? Als Disegno interno bezeichnet es Federico Zuccari, ein Künstler aus dem 16. Jahrhundert. Pietro Bellori spricht hundert Jahre später vom inneren „Funken“ den jeder Künstler in sich trägt und der ihn zum Kunstschaffen treibt. Wie die Bezeichnung „Wollen“ oder auch „interno“ schon besagen, handelt es sich dabei um ein inwendiges Phänomen, das dann durch das Handwerk nach außen getragen werden kann. Der Künstler findet eine Form für etwas, das er in sich getragen hat. Nicht immer muss das für den Betrachter verständlich sein. Ich sage ihnen ganz ehrlich, warum ich von den Arbeiten von Hans Lankes auch so angetan war: weil sie verwirren, weil sie sich für mich nicht auf den ersten Blick erklären, weil ich gezwungen werde nochmals hinzusehen, was aber auch keine Garantie dafür ist, dass ich es dann verstehe. Das Geheimnis, das nicht Ausinterpretierbare, das ist das Offensichtlichste des individuellen Kunstwollens des Künstlers, das ihn einmalig macht.

 

Das vierte Kriterium ist das der Innovation. Neuerungen gelten heute als Marksteine jeglicher Entwicklung. Um 1500 hat sich dieses Verständnis herausgebildet. Bis dahin war die mittelalterliche Kunstauffassung von einer Übersetzung tradierter Bilder und Motive geprägt. Im 18. Jahrhundert bildete sich dann der Geniebegriff heraus, der den Künstler als „schöpferischen“ Hervorbringer von Werken charakterisiert, die gegen die bestehenden Regeln verstoßen, die überraschen und in diesem Sinne neuartig sind. Heute kann Innovation auch die Kombination von Bekanntem oder das Wiederaufgreifen längst vergessener Techniken oder Motive sein. Wie eingangs erwähnt dachte ich vornehmlich an das 18. Jahrhundert bei dieser Technik, ihr jetziges Wiederaufgreifen in dieser radikalen Messertechnik ist Innovation auf leise Art. An einen Bogen Papier wie an einen Marmorblock heranzugehen. In der Kombination von Inhalten und Motiven, die sich jeder Zuordnung entziehen, die vom scheinbar harmlosen Tier- oder Kindermotiv bis hin zum Schrecklichen oszillieren können, sogar im gleichen Werk, um dann ins abstrakte Ornament hinüberzugleiten, zeigt sich die Neuerung dann nicht nur auf der technischen sondern auch auf der motivischen Ebene.

 

Als letzten Aspekt möchte ich noch auf die Diskurswürdigkeit eingehen. In welcher Art und Weise setzt sich ein Künstler mit seinen Werke mit der Welt, der Zeit, der Gesellschaft oder mit dem Menschsein an sich auseinander? Das kann ganz konkret zeitverhaftet sein, indem man sich auf die aktuellen, brisanten Themen bezieht, es geht aber auch um das Überzeitliche, die immer wiederkehrenden Themen wie Liebe, Tod, Angst, Gott oder Vergänglichkeit für die jede Zeit ihre Formensprache findet. Also das Menschsein an sich, das was den Menschen ausmacht, seine Gedanken, seine Gefühle. Hans Lankes Arbeiten zeigen auch auf dieser Ebene eine hohe Sensibilität. Nie laut, effekthascherisch oder vordergründig werden auch die dunklen Seiten des Menschseins angesprochen, die lauernde Gefahr, das Drohende, das sich dann jedoch vielleicht doch nur als Skurrilität entpuppt. Aber wer weiß das schon? Man sollte auf der Hut sein als Betrachter der Arbeiten von Hans Lankes und sich nicht zu sehr in Sicherheit wiegen.

 

Ich wünsche der Ausstellung einen regen Besucherandrang, bedanke mich nochmals herzlich für Ihre Aufmerksamkeit und möchte mit Worten des Künstlers schließen. Worten, die für mich ganz persönlich so eine klare Wahrhaftigkeit haben, dass ich dem nichts weiter hinzufügen möchte:

 

Das Lebensgefühl wird von zwei grundsätzlichen Empfindungen bestimmt: Angst und keine Angst.

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