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Atelierbesuch bei Kai Klahre und Jan Gemeinhardt

„Nürnberg! du vormals weltberühmte Stadt! Wie innig lieb ich die Bildungen jener Zeit! Wie ziehen sie mich zurück in jenes Jahrhundert, da du, Nürnberg, die lebendigwimmelnde Schule der Kunst warst, und ein recht fruchtbarer, überfließender Kunstgeist in deinen Mauern lebte und webte: Wie oft hab ich mich in jene Zeit zurückgewünscht!“

 

Kurz vor der Wende zum 19. Jahrhundert schickten zwei junge Studenten namens Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck diese Stoßseufzer gen Himmel. „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ nannten die beiden Frühromantiker ihr Büchlein, das 1796 anonym erschien und neben viel innovativem Gedankengut eben auch zu einer literarischen Wiederentdeckung der Kunststadt Nürnberg führte, deren Blüte die beiden Literaten – ganz Kinder ihrer Zeit – natürlich in der Dürerzeit verorteten.

 

Vermutlich wäre die Freude der romantischen Dichter groß gewesen, hätten sie voraussehen können, welch künstlerische Qualität auch im 21. Jahrhundert in Nürnberg lebt.

 

In einem von außen unscheinbar wirkenden Hinterhaus in der Nürnberger Südstadt haben die Künstler Jan Gemeinhardt und Kai Klahre ihre Ateliers eingerichtet.

 

Beide absolvierten ihre Studien als Meisterschüler an der ältesten Kunsthochschule im deutschsprachigen Raum, der bereits 1662 gegründeten Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg, und bezogen danach Arbeitsräume in der fränkischen Metropole.

 

Bereits das Betreten der Räumlichkeiten, in denen ihre Kunst entsteht, macht deutlich, dass hier zwei höchst individuelle und damit auch unterschiedliche künstlerische Wege beschritten werden, die sich beide auch auf kluge und zeitgenössische Art mit kunsthistorischen Traditionen auseinandersetzen.

 

Kai Klahres Atelier offenbart sich dem Besucher wie eine Art moderne Wunderkammer. Kleinblättrige Zimmerpflanzen, ein winziger Spiegel, eine ganze Pallettenhalde eingetrockneter Farbe, eine Gipsmaske Adolph von Menzels, hängende Pinsel, die sich selbst wie eigenständige kleine Skulpturen gebärden, Fotografien und Zeitungsausschnitte an der Wand lesen sich wie das visuelle Präludium auf die Kunstwerke, die hier natürlich ebenfalls zu sehen sind. In allen Stadien der Fertigung, von der zarten, tastenden, vielleicht erst vorbereitenden Linienzeichnung, bis hin zur vollendet filigran gegossenen und dann virtuos gefassten, feingliedrigen Bronzearbeit, finden sich alle bildnerischen Gattungen, sowohl im Atelier als auch im Oeuvre des Künstlers Kai Klahre.

 

Mit intelligentem Humor und ernsthafter Geschichts- und Kunstgeschichtskenntnis wagt der Künstler sich auf das Terrain der zeitgenössischen figürlichen Malerei, ohne jedoch zwanghaft in ihr verhaftet zu sein oder sie nur auf dem meist metallischen Bildträger zu begrenzen. In letzter Zeit machen sich die Figuren der Gemälde immer häufiger selbstständig und bewegen sich als feinst gegossene Metallarbeiten aus den Gemälden heraus.

 

Zu einer bildnerischen Geschichtenerzählung, sei sie nun plastischer oder zweidimensionaler Natur, gehört für Kai Klahre ein Titel, und so umfasst seine künstlerische Sorgfaltspflicht stets auch die umsichtige Benennung seiner Werke. „Farbkrieger“ heißt ein Bild aus dem Jahr 2015, das einen schönen Elefanten zeigt, der zwar energisch, aber dennoch behutsam, voraneilt. Formatausfüllend durchmisst das große Tier den fulminanten Farbraum. Trotz seines Elans scheint es sich seines Reiters bewusst, der entspannt und mit angezogenen Beinen auf seinem Rücken sitzt. Einen roten Teppich hat man den beiden zu Recht ausgelegt. Sie sind in wichtiger Mission unterwegs: Für mehr Buntheit und Farbe muss schließlich gekämpft werden!

 

Die Komplexität der Bezugssysteme, in denen die Arbeiten des Künstlers verortet sind, zeigt sich auf sehr vielfältige Weise. Titel und Bild, Inhalt und Technik, Format und Motiv verwebt der Künstler mit spielerisch-leichter aber intelligenter Weise auch stets mit der kunsthistorischen Tradition. Kai Klahre ist einer der wenigen zeitgenössischen Künstler, der keine Scheu davor hat, sich mit ihr bewusst auseinanderzusetzen. Sei es in seinem Arbeitsprozess selbst, der ganz klassisch auf der Zeichnung basiert und sowohl das bildhauerische als auch das malerische Tun umfasst, oder auch in seinen Motiven. Die ästhetische, tiefsinnige Ernsthaftigkeit seines Schaffens erstickt von Beginn an jeglichen konsumigen Kitschverdacht im Keim, sodass man mit freudiger Erleichterung feststellt, dass in Kai Klahres Werken die gegenwärtig so häufig grassierende Angst vor der Schönheit nicht existiert.

 

Ein Stockwerk höher liegt Jan Gemeinhardts Atelier: Eine Rüstung, eine Dornenkrone, Unmengen von Farbtuben, Regale voller Leinwände, leere Rahmen, unzählige Bücher und Postkarten alter Meister gruppieren sich, von einem bequemen Sofa begleitet, um einen glühenden, kleinen Ofen und vermitteln einen dinglich-atmosphärischen Eindruck des künstlerischen Entstehungsprozesses der Bilder und ihrer Inspirationsquellen.

 

Jan Gemeinhardts häufigstes Metier ist eine sehr moderne Art der Landschaftsmalerei, in der der Mensch und seine Lebensdinge meist nur eine untergeordnete Rolle spielen. Melancholisch und ein wenig einsam wirken die häufig kleinformatigen Gemälde aufgrund ihrer verhaltenen Stimmung, die durch das reduzierte, kühle Kolorit noch unterstrichen wird. In versierter Handwerklichkeit zeigen die Gemälde nuancenreiche Variationen der gesamten dunklen Farbskala.

 

Auf den ersten Blick beeindruckt vornehmlich die tiefsinnige Stimmung der Gemälde. Nur schwer kann man sich der Verführungskunst der Bilder entziehen, die in ihrer geheimnisvollen, leisen Art zu einer immer eingehenderen Betrachtungsweise ihrer Hintergründigkeit einladen.

 

Wolken heben sich vom Himmel ab, die Luft erscheint als wirklich existierende Materie, Wind breitet sich aus und trifft auf sich aufbäumendes Wasser. Jede Oberflächenstruktur wird in ihrer Haptik minutiös und meisterlich gestaltet, meist auch mithilfe sehr spezieller Lichtreflexe. Nicht selten handelt es sich um Mond- statt Sonnenlicht, von dem bereits der Romantiker Johann Christian Clausen Dahl bemerkte, dass es auf den Menschen einfach einen nicht abzuweisenden Zauber ausübe.

 

Jan Gemeinhardts Arbeiten sind erzählerisch so ambig wie zurückhaltend. Trotz der oft fehlenden menschlichen Figuren, haben diese manchmal Spuren hinterlassen: sei es als kleines, fürsorglich gebautes Vogelhäuschen für kalte Tage an einem Birkenstamm, einem bunten Wimpelreigen, der verlassen in einer Winterlandschaft übrig geblieben ist, oder eben einem deprimiertem Tod, der trotzig nach Hause geht.

 

Um die sehr besonderen Stimmungen seiner Werke zu erzeugen, überlässt der Künstler nichts dem technischen Zufall. Jedes Detail ist virtuos auf seinen visuellen Effekt hin ausgeführt. Hierbei ist die große Kunst Jan Gemeinhardts, sich nicht von einem plakativen Realismus leiten zu lassen. Die künstlerische Aufgabe umfasst kein reines Abmalen von Naturschauspielen, vielmehr geht es um die Wirkung, die das Gemalte beim Rezipienten hervorzurufen im Stande ist. Auf diesen Effekt versteht sich der Künstler brillant. Man meint, dass er das Betrachterauge stets mit in seinem Pinsel führe.

 

„Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehst ein Bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, dass es zurückwirke auf andere von außen nach innen.“ So umschrieb der berühmteste Maler der deutschen Romantik Caspar David Friedrich seine Auffassung einer Landschaftsmalerei, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts revolutionär war. Jan Gemeinhardts Arbeiten stehen in dieser Tradition und gehen noch darüber hinaus: Mit höchster Sensibilität entfalten alle Gemälde seiner Hand einen feinsinnigen und individuellen Überraschungsmoment. In jedem seiner Bilder findet sich ein Detail, das irritiert, das einen lächeln macht, verstört oder zum Nachdenken anregt und so jedes Werk – auch über seine reine Form hinaus – zu einer einzigartigen Entdeckung werden lässt.

 

„Jedes Kunstwerk muß eine doppelte Sprache reden, eine des Leibes und eine der Seele,“ so formulierten die beiden Freunde Wackenroder und Tieck ihre Auffassung eines idealen Kunstwerkes im ausgehenden 18. Jahrhundert. Die Formen der Kunst haben sich seither gewandelt, die inhaltliche Wahrhaftigkeit dieser Aussage jedoch nicht, wie die Werke der beiden Künstler Kai Klahre und Jan Gemeinhardt meisterhaft zeigen.

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www.jan-gemeinhardt.de

www.kaiklahre.de

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