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Bayerns Meisterwerke. Eine Gesprächsreihe auf Bayern 2.

Benjamin Vautiers „Der Hauslehrer“ im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg

Wohl fühlt er sich nicht, der schüchterne Gast, auf seinem Besucherstuhl. Scheu hat er den Blick auf den Boden gerichtet und harrt des Urteils der Dame des Hauses. Offensichtlich stellt sich der junge Mann gerade als Lehrer und Erzieher für deren Kinder vor. Von spitzweghafter Manier sind seine dünne Statur sowie das schüttere Haar und die Brille auf der schmalen Nase.

 

Vor ihm steht sein zukünftiger Schüler. In kindlicher Überlegenheit hat dieser die eine Hand lässig in die Hosentasche gesteckt, der kleine Daumen der anderen Hand ist in den Gürtel eingehakt. Kritisch und mit leicht herausfordernder Abschätzung mustert er den Pädagogen. Hinter ihm sitzt matronenhaft seine Mutter. Ein Blick in ihr junges Gesicht verrät jedoch, dass ihre Aufmachung nicht zu ihrem Alter passt. Würdevoll und konzentriert hält sie die Zeugnispapiere des Bewerbers in der Hand und studiert diese. Das Bilderbuch, aus dem sie den Kindern vorgelesen hatte, bevor der Besucher kam, liegt aufgeschlagen in ihrem Schoß.

 

Um sie herum haben sich ihre Töchter gruppiert. Mädchenhaft und gesittet entsprechen die drei, brav mit weißen Schürzen über den bunten Kleidern angetan, in ihrem Verhalten ihrem Alter. Während die Älteste mit kerzengeradem Rücken sich durch nichts von ihrer Handarbeit ablenken lässt, sitzt die Jüngere noch beweglicher auf ihrem Stuhl und betrachtet das Tun der Schwester aufmerksam. Die Kleinste der Mädchen sitzt eng neben der Mutter und wartet geduldig auf die Fortsetzung der Erzählstunde.

 

Das Interieur des Zimmers ist wohnlich und repräsentativ zugleich. Dem Zeitgeschmack der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entsprechend, ist es in eklektizistischer Manier aus unterschiedlichen Stilrichtungen zusammengesetzt. Rückbezüge vielfältiger Art in die Vergangenheit zeichnen diese Epoche aus.

 

Das Mobiliar ist in neobarocker Weise üppig gestaltet. Die Goldrahmen um Spiegel und Bilder erzeugen eine Atmosphäre von Reichtum und Adel. Deswegen steht vermutlich auch der Sohn des Hauses sinnbildhaft direkt unter dem Porträt eines Herren mit Allongeperücke. Ein (imaginärer) Vorfahre soll einen dynastischen Zusammenhang erzeugen, sowie die Porzellanvasen einen Hauch von exotischer Ferne in die europäische Wohnwelt zaubern. Der großflächige Spiegel lässt einen prunkvollen Kristalllüster erahnen, der an der Decke des Salons hängt.

 

Von anderer historischer Herkunft ist die Tischbedeckung. In Anlehnung an holländische Gemälde des 17. Jahrhunderts hatte man eine Mode aus der Barockzeit übernommen, Teppiche als Tischdecken zu verwenden.

 

Alles in diesem Zimmer strahlt gewollte Großbürgerlichkeit aus, die sich am Formenschatz früherer Zeiten orientiert, um dadurch ihren gesellschaftlichen Anspruch geltend zu machen. Dass dieser sehr ausgeprägt ist, auch darüber gibt dieses kleine Genrebild Aufschluss. Die Standesgrenzen werden strikt gewahrt. Viele Details verdeutlichen, dass der Besucher nicht auf der gleichen gesellschaftlichen Stufe mit den Bewohnern steht. Als Hauslehrer in spe wird er bereits jetzt wie ein Bediensteter behandelt. Die gefüllte Karaffe samt Gläsern steht zwar auf dem Tisch, angeboten wurde dem Gast jedoch nichts. Auch wurde ihm seine Straßengarderobe nicht abgenommen, wie es bei einem anderen Gast üblich gewesen wäre. Dem zukünftigen Pädagogen wird die peinliche Situation nicht erspart, nun Schirm und Zylinder auch im Innenraum bei sich tragen zu müssen. Die Kopfbedeckung dreht er verlegen zwischen den Händen. Auf den Tisch wagt er sie offensichtlich nicht abzulegen. Genauso wenig scheint er den Mut zu haben, den zu neugierig an ihm schnuppernden kleinen Hund zur Räson zu bringen. Dies wäre eigentlich die Aufgabe der Dame des Hauses. Den Schirm muss der Lehrer unkomfortabel zwischen die Beine klemmen und darauf achten, dass dieser nicht lautstark auf den Boden fällt und dadurch die angespannte Stille stört.

 

Hauslehrerstellen waren zu jener Zeit keine erstrebenswerten Positionen. Man gehörte, trotz akademischen Studiums, zum Hauspersonal, wurde als solches behandelt und meist auch schlecht bezahlt. Aufstiegsmöglichkeiten waren nicht gegeben. Dennoch wählten viele Gelehrte, denen eine Universitätslaufbahn verschlossen blieb, diesen Weg. War es doch häufig die einzige Möglichkeit, wenn auch im kleinen Rahmen, lehrend tätig zu sein.

 

Mit leiser Ironie macht Vautier auf die absurde Situation aufmerksam, dass eine Frau, deren Lektüre für gewöhnlich die Bücher ihrer Kinder ist, über die Qualifikation eines studierten Akademikers befindet. Unmissverständlich wird auch angedeutet, worin die Ausbildung von Mädchen bestand: Das Handarbeitskörbchen steht stets bereit. Die Hausherrin wird ebenfalls eine solche Erziehung genossen haben. Das Lebensziel von höheren Töchtern war klar definiert. Sie sollten ausschließlich ihrer späteren Rolle als Ehefrau und Mutter gerecht werden. Auch in der vorliegenden Szene ist eindeutig zu sehen, für wen der Lehrer angestellt werden soll. So charmant und harmlos dieses Gemälde auf den ersten Blick wirkt, so beißend erzählt es bis ins kleinste Detail von der Atmosphäre und dem gesellschaftlichen Gefüge im ausgehenden 19. Jahrhundert.

 

Bayerns Meisterwerke. Eine Gesprächsreihe auf Bayern 2.

Sendetermin 25. November 14:05 Uhr / 20:05 Uhr KulturLeben

 

Diese und weitere Bildbeschreibungen sind nachzulesen in:

13 Werke aus dem Germanischen Nationalmuseum Nürnberg betrachtet von Teresa Bischoff.

www.gnm.de

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