Bayerns Meisterwerke. Eine Gesprächsreihe auf Bayern 2.
Rogier van der Weydens „Columba Altar“ in der Alten Pinakothek München
Mit äußerster Behutsamkeit umfasst der auf die Knie gesunkene König die kleine Gestalt. Zart berührt der Fürst die Kinderhand, um sie an seinen Mund zum ehrfürchtigen Kuss zu führen. Vorsichtig hält er die Beinchen des Jesusknaben, der auf dem Schoß seiner Mutter den hochstehenden Besuchern präsentiert wird. Die weltliche Macht sinkt vor der göttlichen, nun menschgewordenen, zu Boden.
Die Szene ist der Schlüsselmoment eines der berühmtesten Bilder aus der Alten Pinakothek in München. 1827 war der sogenannte Columba-Altar als eines der wichtigsten Werke der Sammlung der Brüder Boisserée an die Isar gekommen. Ludwig I. hatte im Gegensatz zu anderen Fürsten, denen die wertvollen Bilder ebenfalls angeboten worden waren, die Kostbarkeiten angekauft: „Aber welche Sammlung habe ich nun, meine Herren; welche Sammlung, wenn das alles beisammen seyn wird! Man darf es schon wissen, daß ich die Sammlung gekauft habe; nur wünsche ich, daß nichts davon in die Zeitungen komme, und besonders, daß man den Preis nicht erfahre. Wenn man das Geld im Spiel verliert oder für Pferde ausgibt, meinen die Leute, es wäre recht, es müsse so seyn; wenn man es aber für die Kunst verwendet, sprechen sie von Verschwendung.“
Wie aus diesen Zeilen deutlich hervorgeht, teilten nicht alle Zeitgenossen Ludwigs Kunstenthusiasmus. Der Wittelsbacher war durch frühere Erfahrung nun vorsichtiger geworden. Aber natürlich hatte der König sich von diesem Widerstand nicht beeinflussen lassen. Es war schließlich eine einmalige Gelegenheit diese zahlreichen Kunstschätze zu erwerben, die Sulpiz und Melchior Boisserée im Zuge der Säkularisation bisweilen zu Spottpreisen aus Kirchen und Klöstern vor Zerstreuung oder Vernichtung gerettet hatten.
Unter diesen befand sich auch das ursprünglich für die St. Columba Kirche in Köln von Rogier van der Weyden angefertigte Triptychon. Kunsthistoriker datieren es auf die Jahre um 1455. Es ist ein typisches Werk des späten Mittelalters: von einem heute unbekannten Stifter in Auftrag gegeben, spiegelt es die tiefe Frömmigkeit jener Zeit. Auf den Seitentafeln sind die Verkündigung und die Darstellung im Tempel zu sehen, während die großformatige Mitteltafel von der Anbetung der Könige erzählt.
Neben den Brüdern van Eyck und Hugo van der Goes ist Rogier van der Weyden einer der wichtigsten und berühmtesten Maler des 15. Jahrhunderts nördlich der Alpen. Von „meisterhafter Genauigkeit“ stellte er die reale Wirklichkeit „auf das vollkommenste“ dar, wie bereits Goethe bemerkt: Leicht nach links aus der Mittelachse verschoben, um der dynamischen Bewegung der dicht gedrängt Herannahenden Rechnung zu tragen, wird das außergewöhnliche Ereignis aufmerksam vom sanften, jedoch auch neugierigen Ochsen beobachtet, während der Esel sich nur für den Futtertrog interessiert. Die Könige sind nach neuester Mode gekleidet, wie sie am prächtigen Hof von Burgund getragen wurde. Man meint die luxuriösen Gewänder nahezu rascheln zu hören. Fein abgestimmt und von kluger Ausgewogenheit stellt sich das erlesene Kolorit dar. Wertvoll schimmern die kostbaren Gegenstände, die man dem besonderen Kind als Gaben darbieten möchte. In individueller Charakteristik drücken sich die fein geschnittenen Gesichter aus. Eine direkte Übernahme der Wirklichkeit findet sich im Antlitz des jungen Königs. Hier ehrt Rogier van der Weyden vermutlich den jungen Karl den Kühnen mit einem versteckten Idealporträt.
Auch die Örtlichkeit ist an der realen Welt orientiert. Kompositorisch aufwändig schichten sich die unterschiedlichen Raumebenen in die Tiefe. Hinter der Stallruine, die in all ihren Details sichtbar wird, breitet sich ein weitläufig vielfältiges Raumkontinuum aus. Rechts schließt das Bild mit einer angeschnittenen Kirchenarchitektur ab, während sich über den mittleren Teil saftige grüne Wiesen erstrecken. Für das Aussehen des gezeigten Städtchens diente dem Künstler vermutlich der holländische Ort Middelburg als Vorbild.
Das besondere Merkmal der altniederländischen Malerei ist die Verbindung der künstlerisch auf höchstem Niveau wiedergegeben Wirklichkeit mit einer ausgeprägten theologischen Gedankentiefe. Das melancholische Antlitz der Maria nimmt bereits das Wissen um den späteren Opfertod ihres Kindes vorweg. Die bloße Nacktheit des feingliedrigen Knaben, die im Kontrast zur reichen Gewandung der umstehenden Personen umso intensiver wirkt, ist ebenfalls in diesem Kontext zu lesen. Das kleine Kruzifix unter dem Stalldach ist der deutlichste Hinweis auf die spätere Bestimmung Jesu als Erlöser.
Bereits die Geburt des Kindes wird so für den frommen Betrachter klar erkennbar in den heilsgeschichtlichen Zusammenhang gestellt. Mit Jesus kommt aber auch das Licht in die Welt, was am helleren Vordergrund zu sehen ist, der das göttliche Kind umgibt. Den Hintergrund des Bildes umfängt noch der gestirnte Nachthimmel.
Feierliche Pracht und tiefgläubiger Ernst verbinden sich auf beeindruckend subtile Weise. Sogar Goethe machte dies staunen, auch wenn er der damals noch verbreiteten Ansicht war, dass es sich um ein Gemälde von Jan van Eyck handelte: „Von den Flechtbreiten auf dem verwitterten zerbröckelten Ruinengestein, von den Grashalmen, die auf dem vermoderten Strohdache wachsen, bis zu den goldenen juwelenreichen Bechergeschenken, vom Gewand zum Antlitz, von der Nähe bis zur Ferne, alles ist mit gleicher Sorgfalt behandelt und keine Stelle dieser Tafeln, die nicht durchs Vergrößerungsglas gewönne.(…) Da habe ich in meinem Leben viele Verse gemacht, darunter sind ein paar gute und viele mittelmäßige, da macht der Eyck ein solches Bild, das mehr wert ist, als alles, was ich gemacht habe. “
Bayerns Meisterwerke. Eine Gesprächsreihe auf Bayern 2.
Sendetermin 23. Dezember 14:05 Uhr / 20:05 Uhr KulturLeben