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Gedanken zu einem österlichen Kurzaufenthalt in Berlin

Gemäldegalerie, Neue Nationalgalerie, c/o Berlin, Barberini Museum Potsdam, Schloss Paretz

Hugo van der Goes, Monica Bonvicini, Gerhard Richter, William Eggleston, Claude Monet, Königin Luise

Wär nicht das Auge sonnenhaft, die Sonne könnt es nie erblicken; läg nicht in uns des Gottes eigne Kraft, wie könnt uns Göttliches entzücken?  (Johann Wolfgang von Goethe)

 

Wer zu Frühlingsbeginn in die Hauptstadt fuhr und der Gemäldegalerie einen Besuch abstattete, wurde bereits am Eingang mit einer herausfordernden Frage konfrontiert. „Muse oder Macherin“ lautet der Titel einer kleinen Grafikausstellung, in deren Fokus das weibliche Kunstschaffen der italienischen Renaissance und Barockzeit steht. Zu zeigen, dass Frauen weit mehr waren als das schöne Modell, dessen Anblick den männlichen Kunstschöpfenden zu genialen Höhenflügen inspirierte, ist das Anliegen der Schau in den übersichtlichen Räumen des Kupferstichkabinetts. Aufgrund der begrenzten Anzahl von Werken ist die Ausstellung rasch durschritten. Ohne größere Überraschungen zu bieten, überzeugt die Idee dennoch, da sie den Kreis der Künstlerinnen um die der Mäzeninnen, Sammlerinnen und Auftraggeberinnen erweitert und Frauenrollen präsentiert und dadurch ins Bewusstsein ruft, die selbst in der Jetztzeit von der Kunstgeschichte immer noch zu oft übersehen werden.

 

Ein Stockwerk tiefer arbeitet der namengebende Titel einer weiteren Ausstellung ebenfalls mit zwei sich gegenüberstehenden Begriffen. Denn „Zwischen Schmerz und Seligkeit“ oszilliert das so faszinierende Kunstschaffen des Niederländers Hugo van der Goes, dem die Gemäldegalerie eine ergreifende Einzelschau widmet. Respektvoll hält sich die Ausstellungsarchitektur in den abgedunkelten Räumen zurück und überlässt die gesamte Wirkmacht den Bildern, die von einer heute kaum mehr nachvollziehbaren Frömmigkeit erzählen. Vollständig durchdrungen scheint das Leben der Menschen vom Glauben gewesen zu sein. Bis auf eine zauberhaft geheimnisvolle Zeichnung, die eine weltliche Allegorie der Tugend und der Schönheit auf einem Pfau reitend zeigt, sind alle Werke in den Dienst der Religion gestellt. Gleich zu Beginn beeindruckt die Schau ihre Besucher nachhaltig mit einer malerischen Kostbarkeit. Die Anbetung des Kindes wird im Monforte-Altar überaus prachtvoll zelebriert. Wenn es uns bildgesättigten Zeitgenossen ob der Farb- und Detailfülle schon nahezu die Sprache verschlägt, wie erging es wohl den Menschen des 15. Jahrhunderts vor solch einer Bildgewalt? Ist unser Sehen heute souverän, wissen wir das Bild vom realen Gegenstand durch tausendfach erprobten und geschulten Blick zu unterscheiden, wie täuschend echt müssen die glänzenden Juwelen gewirkt haben, wie verführerisch der seidig schmeichelnde Pelz auf Augen, die nicht alltäglich diesen vielfältigen Bildreizen ausgesetzt waren.

Hugo van der Goes baute auf ein künstlerisches Bestreben auf, das mit den Brüdern Jan und Hubert van Eyck und Rogier van der Weydens einige Jahrzehnte zuvor begonnen hatte. Um auch religiöse Inhalte den Gläubigen so anschaulich und wahrheitsgetreu wie möglich darzustellen, sollte die Malerei der realen Welt so nahe wie möglich kommen. Was in den Niederlanden über Stofflichkeiten, Oberflächen und Details geschah, wurde in Italien über Perspektive, Räumlichkeit und körperliche Volumen erzeugt. So unterschiedlich sich die Wege im Süden und Norden gestalteten, das Ziel war das gleiche: Die Wirklichkeit hielt Einzug in die Malerei. Die Epoche der Renaissance war diesseits wie jenseits der Alpen angebrochen.

 

Wer jene beiden malerischen Möglichkeiten im direkten Vergleich studieren möchte, muss in die Uffizien nach Florenz fahren. Dort ist bis heute das berühmteste Werk Hugo van der Goes‘ zu bewundern, das auch aufgrund seiner schieren Größe von sechs Metern Spannbreite nicht nach Berlin reisen konnte. Der für einige Jahre in Brügge hocherfolgreiche italienische Bankier Tommaso Portinari hatte das Triptychon bei van der Goes in Auftrag gegeben, um es dann in sein Heimatland überführen zu lassen. Hoch beschwerlich war dieser Transport. Als die kostbare Fracht endlich eingetroffen war, veranlasste dies den Empfänger zu einem Stoßseufzer, der sich sogar schriftlich überliefert hat: „Ringraziato sia Idio!“ notierte der Vorsteher des Ospedale di Santa Maria Nuova am 28. Mai 1483. Mehrere Monate war der Altar von Gent über Sizilien und Pisa gereist, um von dort auf einem Kahn den Arno hinaufzufahren, wo er in Florenz schließlich von 16 Männern in Empfang genommen und in die Kirche getragen wurde. Heute ist der Portinari-Altar eines der berühmtesten Meisterwerke in einer an Glanzstücken wahrlich nicht armen Sammlung. Eindrücklich erzählt er im Italien der heiteren Frührenaissance von der nordisch strengen Detailversessenheit des Niederländers Hugo van der Goes.

 

Aber auch wenn dieses Hauptwerk den Weg über die Alpen diesmal nicht genommen hat, wird man in Berlin nicht enttäuscht sein. Nahezu alle dem Künstler zugeschriebenen Werke sind hier zum ersten Mal versammelt und geben mit ihrer bisweilen fremd anmutenden Bildwelt auch einen Einblick in das Leben der Menschen jener Zeit. Zentral und präsent war der mahnende Opfertod Christi, der die Menschen nach dem Sündenfall wieder erlösen sollte. Beide Szenen finden sich auf dem Wiener-Diptychon. Abweichend von der ikonografischen Tradition werden Adam und Eva nicht durch den Baum der Erkenntnis getrennt, sondern stehen nebeneinander. Die andere Seite nimmt eine äußerst individuell gestaltete Schlange der Verführung ein. Eng schmiegt sich das drachenähnliche Wesen mit unverkennbar weiblichem Antlitz an den Baumstamm, um dabei Eva eindringlich und unverwandt zu fixieren. Als wollte sie mit nahezu hypnotischem Blick das Handeln der schönen und selbstbewussten Eva lenken und beeinflussen. Diese steht im Zentrum der Komposition. Weit greift ihr linker Arm nach hinten aus um einen weiteren Apfel zu pflücken, den sie Adam übergeben wird, der bereitwillig bereits seine Linke zum Empfang erhebt. Virtuos präsentiert der Künstler den durchgestalteten Frauenleib, vor dessen Mitte anspielungsreich eine blaue Lilie platziert ist. Auch wenn der männliche Begleiter geneigt nach der ihm dargebotenen Frucht greift, so wird hier keinerlei Zweifel gelassen, wem allein die Hauptschuld an dem so folgenschweren Übertritt des göttlichen Verbotes angelastet wird. Eva agiert, entscheidet, verführt und leitet mit ihrem sündhaften Tun von der Schlange über zu Adam, der im wahrsten Sinne des Wortes eine Randfigur ist. Durch seine formal ungewöhnliche Kompositionsausrichtung verstärkt Hugo van der Goes die gängige Lesart. Der Künstler selbst war ebenfalls tief im zeitgenössischen Glauben verwurzelt. Laut Quellenberichten litt er unter Melancholie, Depressionen und religiösen Wahnvorstellungen.  1478 entzog er sich schließlich seiner erfolgreichen Berufswelt und trat als Laienbruder in ein Kloster ein, wo er bis zu seinem Tode vier Jahre später jedoch weiterhin malte und Aufträge ausführte.

Berlin wäre nicht Berlin, wenn nicht nur einen Steinwurf entfernt in der Neuen Nationalgalerie das größtmögliche Kontrastprogramm anzutreffen wäre. Zählte zu Hugo van der Goes‘ Zeiten die Eitelkeit noch zu den Todsünden, wird sie nun allerorten und auch in der Kunst gefeiert, zelebriert und regelrecht gefördert. „Unter dem Titel „I do You“ sind speziell für den Bau von Mies van der Rohe entwickelte architektonische Installationen zu sehen, die den Besucher*innen ungewohnte Perspektiven eröffnen. Der ikonische Museumsraum wird dadurch umgewertet zu einem stark körperlich erfahrbaren Reflexionsraum über die traditionell männlich konnotierte Macht von Architektur.“ So wissenschaftlich, gendergerecht und elaboriert das auf der Internetseite klingt, so einfach funktioniert das Ganze in der Realität: niemand kann an den riesigen verspiegelten Wänden vorübergehen ohne nicht zumindest ein Instagram taugliches Foto zu schießen. Auch ich nicht.

 

Die Sucht nach dem eigenen Bild macht mittlerweile bedauerlicherweise aber auch an Orten nicht Halt, die davon rigoros frei sein sollten. Im unteren Stockwerk feiert die Neue Nationalgalerie Gerhard Richter mit einer umfangreichen Werkschau, deren Arbeiten der Künstler selbst zur Verfügung gestellt hat. Unter den Leihgaben befindet sich der Birkenau Zyklus aus dem Jahr 2014, der das Ergebnis einer langen und tiefen Auseinandersetzung des Malers mit dem Holocaust und dessen Darstellbarkeit ist. „Grundlage der Werke sind vier Fotografien aus dem KZ Auschwitz-Birkenau, die der Künstler mit Kohle und Ölfarbe auf vier Leinwände übertragen hat, um sie dann nach und nach abstrakt zu übermalen. Mit jeder Farbschicht verschwand die gemalte Vorlage etwas mehr, bis sie schließlich nicht mehr sichtbar war. Zu dem Werk gehört auch ein großer, vierteiliger Spiegel, der gegenüber den vier Birkenau-Bildern platziert ist und so eine weitere Ebene der Reflexion erzeugt.“ Genau jene Spiegel jedoch stellen für die meisten Besucher eine anscheinend allzu große Verlockung dar, selbst angesichts dieser Thematik einmal NICHT ans eigene äußere Erscheinungsbild zu denken. Trotz dieser beschämenden Irritation: die schier grenzenlose malerische Möglichkeitsvielfalt, die dieser Großkünstler der Gegenwart für sich gepachtet zu haben scheint, beeindruckt jedes Mal wieder aufs Neue.

 

Wir beenden den kunstreichen Tag mit einem Besuch bei c/o Berlin. Mit leichter Hand haben hier in Zusammenarbeit mit den Kindern des Fotografen die Kuratoren die Ausstellung „Mystery of the Ordinary“ zum Oeuvre William Egglestons zusammengestellt. Nahezu im Alleingang hatte er in den 60er Jahren die Farbfotografie als Kunstform etabliert. Mit wachem feinsinnigem Blick durchstreifte er den amerikanischen Alltag und fand selbst im Unspektakulären stets den Funken Schönheit, den es zum Überleben braucht. Einige der Bilder haben mittlerweile ikonischen Charakter, selbst wenn man vielleicht nicht weiß, wer deren Schöpfer war. Zeitlos erzählen sie von einer vergangenen Zeit; einer Zeit als es Fotografen gab, die für das eine Foto stets nur ein einziges Mal den Auslöser betätigten.

Kurz ist diesmal unser Aufenthalt in Berlin. Auf der Rückreise machen wir einen Abstecher nach Potsdam zu der vielbeworbenen Ausstellung „Sonne. Die Quelle des Lichts in der Kunst,“ die sich der Ikonographie dieses einzigartigen Sterns von der Antike bis in die Gegenwart widmet. Trotz strenger Zeitticketpolitk sind die Räume übervoll, was den Kunstgenuss genauso schmälert wie die nicht nachvollziehbare, zusammenhanglose Hängung der Exponate. Selbst das so spektakulär einer ganzen kunsthistorischen Epoche den Namen gebende Gemälde „Impression (Sonnenaufgang)“ aus dem Jahr 1872 von Claude Monet vermag sich in all der Unruhe nicht zu behaupten. Etwas verloren hängt es an der Stirnseite zu einer der Ausstellungsräumlichkeiten und bewirkt lediglich, dass in diesen Saal fast kein Eintreten möglich ist. Nicht zum ersten Mal hat das große Werbespektakel des Barberini Museums der Realität nicht Stand gehalten. Zu groß scheint das gewählte Thema, das doch nur von Größen besungen werden kann.

 

Die Sonne tönt, nach alter Weise,

In Brudersphären Wettgesang,

Und ihre vorgeschriebne Reise

Vollendet sie mit Donnergang.

Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke,

Wenn keiner sie ergründen mag;

die unbegreiflich hohen Werke

Sind herrlich wie am ersten Tag.

 

Goethe vermag es den Abschiednehmenden versöhnlich zu stimmen.

Einen letzten Zwischenhalt legen wir auf der Rückreise noch ein, um ein kleines verstecktes, lediglich 20 Kilometer von Potsdam entfernt gelegenes Schlossjuwel zu besichtigen. In Paretz haben sich das Königspaar Luise und Friedrich Wilhelm ihren Traum vom ungezwungenen Landleben um 1800 erfüllt. Ein individuell nach den Bedürfnissen der königlichen Familie errichtetes Schloss, das eher einem Gutshof gleicht als einer prächtigen Residenz, diente den Hohenzollern viele Jahre als sommerlicher Rückzugsort. Nicht gekünstelt wie das die Natürlichkeit nur nachspielende französische Rokoko einer Marie Antoinette, sondern anrührend schlicht, aber dennoch von wohnlicher Anmut durchdrungen, erzählen die nach langer Umnutzung frisch renovierten Räume vom Charme ihrer damaligen Bewohnerin. Einige von Luises Gegenständen sind bis heute dort erhalten geblieben und werden liebevoll vom jetzigen Personal behütet. Viel häufiger sollte man solch kleine Reisen ins Zeitalter der Romantik unternehmen.

 

https://co-berlin.org/de

https://www.smb.museum/museen-einrichtungen/gemaeldegalerie/home/

https://www.smb.museum/museen-einrichtungen/neue-nationalgalerie/home/

https://www.museum-barberini.de/de/

https://www.spsg.de/schloesser-gaerten/objekt/schloss-park-paretz/

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