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Gedanken zur Ausstellung „Guido Reni. Der Göttliche“

Im Städel Museum Frankfurt

Wer dieser Tage eine Fahrt in die Mainmetropole unternahm, konnte den Eindruck gewinnen, nicht in Frankfurt, sondern in Italien gelandet zu sein. Denn gleich zwei Ausstellungen im Städel entführten die Besucher nach jenseits der Alpen. Im Grafikkabinett konnte man das sehnsuchtsvolle Staunen nachvollziehen, das frühe Fotografen im Süden suchten, fanden und in stillem Schwarz-Weiß festhielten, um es in den Norden an die kulturinteressierten Daheimgebliebenen zu vermitteln. So besonders das Reisen in jener Zeit noch gewesen, so ähnlich waren doch die frühen Motive unseren tausendfach auf Instagram geteilten Urlaubsbildern: der Canal Grande in Venedig oder der schiefe Turm von Pisa avancierten bereits damals zu absoluten Publikumslieblingen. Auch die Eleganz der zarten Unschärfe kommt uns Heutigen seltsam vertraut vor. Was damals seine Ursache jedoch in der noch so jungen Technik der Fotografie hatte, wird heute durch digitale Filter auf den sozialen Medien künstlich erzeugt.

 

Eines idealisierenden Weichzeichners bediente sich bereits vor gut 400 Jahren auch Guido Reni. Diesem barocken Großkünstler Italiens widmete das Museum eine erneut großartig kuratierte Schau. Vor großzügigen himmelblauen oder tiefroten Hintergründen dürfen die goldstrahlenden Bildwerke ihren einzigartigen Glanz entfalten, denn respektvoll nimmt sich die Ausstellungsarchitektur zurück. Klug bereiten die Texttafeln das gedankliche Fundament, um den einzigartigen Bildwerken vollständig die Bühne zu überlassen, die diese in barockem Überschwang auch zu nutzen wissen.  

 

Mit einem himmlischen Paukenschlag beginnt die Ausstellung, indem sie gleich drei großformatige Werke an den Anfang stellt, die ein Lieblingsthema nicht nur des ursprünglich aus Bologna stammenden Malers, sondern der gesamten Barockzeit zeigen: die Himmelfahrt Mariens. Selten nur trifft das Himmlische und Irdische so konzise aufeinander. Reni genügt dabei ein kleines, dafür umso wirkmächtigeres Detail, um dies zu verdeutlichen: Sein Markenzeichen, der nach oben gerichtete, „himmelnde“ Blick macht das Ziel der Bewegungsrichtung deutlich, indem er es versinnlicht. Unwillkürlich folgt auch der heutige Betrachter dieser Weisung und lässt den Blick nach oben ins Göttliche schweifen.

„Il Divino“, der Göttliche, wurde Reni denn auch von seinen Zeitgenossen ehrfürchtig genannt, verstand er es doch wie kein Zweiter das Überirdische, sei es christlicher oder auch mythologischer Natur, mit solch ästhetischer Dringlichkeit in Bilder zu fassen.

Dabei war er, wie die Chronisten berichten, ein schillernder Zeitgenosse. Äußerst gutaussehend, extravagant und divenhaft, streng religiös, mit einem heftigen Drang zum Aberglauben, verfügte er bisweilen über sagenhaften Reichtum, da die Kundschaft ihm die Bilder förmlich von der Staffelei riss. Weil er aber dem Glücksspiel verfallen war, steckte er, trotz großzügigster Käufer und einer riesigen, produktiven Werkstatt mehr als einmal in prekären finanziellen Verhältnissen. Misstrauisch gebärdete er sich gegenüber allen Frauen, außer seiner Mutter. Vielleicht ist hier ein Grund zu finden, weshalb das Bild der liebenden Jungfrau Maria diese besondere Rolle in seinem Oeuvre spielte.

 

Lange Zeit stand Guido Reni im Schatten des großen Neuerers Caravaggio. Meist galt er als dessen Antagonist, da er doch eher dem Stil der Künstlerfamilie Carracci zuzuordnen war; jener Malergruppe, die den in Italien gegen Ende des 16. Jahrhunderts ermüdeten Manierismus durch eine Rückbesinnung auf das klassische, an Raffael und der Antike orientiertem ästhetischen Ideal überwinden wollte. Renis Kolorit, seine souveräne malerische Anverwandlung skulpturaler antiker Formen, die hehre Göttlichkeit seiner Figuren: all das schien wie der Gegenentwurf zum gewalttätigen, vor Schmutz und Brutalität nie zurückscheuenden Caravaggio. Aber gerade in jenen Jahren in Rom, in denen Reni hofiert und umworben wurde von den einflussreichsten Familien, in denen er Ikonen schuf wie den „Apoll auf dem Sonnenwagen“ finden sich stets auch künstlerische Ideen, die auf den Gegenspieler reagieren. Die meist rigorose Reduktion des Figurenpersonals, die kraftvolle Energie des Physischen und auch identische Bildmotive zeugen von einer nahen Auseinandersetzung, die nicht nur von Abwehr, sondern auch von variantenreicher, künstlerischer Übernahme zeugt. Besonders deutlich wir dies an einem der Lieblingsmotive der italienischen Kunstgeschichte: dem Knaben David, der durch List und Klugheit den körperlich weit überlegenen Riesen Goliath zu Fall bringt.

 

Dieser von Reni im atemberaubenden Hochformat dargestellte Jüngling ist sicherlich ein absolutes Glanzstück innerhalb der an Hochkarätern nicht armen Ausstellung. Lässig lehnt der jugendliche Sieger auf einem Säulenstumpf. Kokett trägt er das federgeschmückte Hütchen auf dem Kopf. Locker hält er die kleine Schleuder in der Rechten, während er fast zärtlich in das volle Haupthaar des Besiegten greift. Von ruhevoller Melancholie zeugt das Knabengesicht, während das Antlitz des Getöteten noch im Tode vor Schmerz und Verzweiflung zu schreien scheint. Zu grausam zeigt sich die durch den Stein geschlagene Kopfwunde. Wie kein zweites Bild von Renis Hand offenbart der „David“ die Bravour, mit der der Bologneser Meister die beiden an sich als unvereinbar geltenden Stile der klassischen Ästhetik und des robusten Caravaggismus miteinander verschmolz.

Auch der vom göttlichen Blitzstrahl getroffene Saul ist ein Motiv, mit dem sich Caravaggio und Reni beschäftigten – diesmal jedoch auf völlig unterschiedliche Art. „Die Bekehrung des Saulus“ stellt eine der bekanntesten Bildfindungen Caravaggios dar. Bis heute ist sie an ihrem ursprünglichen Standort in der Cerasi Kapelle zu bewundern, wo der Maler dem Pferd nicht einmal genügend Platz zugesteht, um alle Hufe abzustellen. Auch Reni lässt seinen Protagonisten im und um den Platz ringen, jedoch in anderer, durch und durch manieristischer Weise. Obwohl gute 15 Jahre nach Caravaggio entstanden, zelebriert er jenen hochartifiziellen Stil des vergangenen Jahrhunderts. So gleicht die Rüstung Sauls eher einem nassen Gewand denn einer schützend festen Panzerschicht. Sie ist eng um den Körper geschmiegt, als sei sie direkt auf den muskulösen Leib aufgemalt. Trotz der nach unten gerichteten Fallbewegung des Gestürzten wirkt die Komposition entschwert, da Blickrichtung und Geste konträr dazu ausgerichtet sind. Widersprüche auf höchstem ästhetischem Niveau liebte der Manierismus ebenso wie die Darstellung hocheleganter Tiere, die sich nicht unbedingt an der Realität orientierten. Entschlossen macht Reni sich in seinem selbstbestimmten Kunstwollen völlig frei von der kraftstrotzenden Physis eines Caravaggio. Er nimmt für sich eine absolute künstlerische Wahlfreiheit in Anspruch.

 

Thematisierte Guido Reni mit David und Saul zwei zum Standardrepertoire der christlichen Ikonografie gehörende biblische Helden, trifft der Künstler mit der Darstellung des Liebespaares Hippomenes und Atalante eine weitaus seltenere Wahl. Der schnellsten griechischen Läuferin ihrer Zeit, die sich nur einem Mann versprechen wollte, der sie im Wettlauf zu besiegen im Stande war, lässt Reni mit nachgerade provozierender Eleganz die goldenen Äpfel der Venus vor die Füße werfen, sodass selbst diese selbstbewusste Frau sich vor der Liebe neigt und so geschlagen geben muss. Die ausgewogene Schönheitlichkeit der bewegten Körper, die Dezenz mit der Reni trotz auseinanderstrebender Bewegungsgesten mittels überkreuzter Beine das nahe Begehren der beiden Protagonisten zeigt, die elegante Stofflichkeit der wehenden Draperien; all das ließ die Zeitgenossen von einem paradiesischen Stil sprechen, der nicht von Menschenhand, sondern „da angelo“, von einem Engel gemalt sein musste.

 

Ob tausendfach gezeigte Mariendarstellungen oder selten zu sehende mythologische Liebespaare: in Renis Themenrepertoire ist alles vertreten, was das kunstaffine Betrachterherz begeistert. Sogar auf theoretische Diskurse lässt er sich bildnerisch ein. Mit sanftmütiger Anziehungskraft vereint er die Allegorien der Zeichnung und der Malerei in einer dauerhaften Liebkosung und schlichtet so den steten Disput über deren Vorrangstellung. Wie virtuos der Bologneser selbst auf beiden Gebieten agierte, zeigt die Ausstellung anhand umwerfend schöner Zeichnungen. Sein vielleicht berühmtestes Gemälde, der von einer Rosenblätter streuenden Göttin der Morgenröte angeführte „Apoll auf dem Sonnenwagen“, das als Allusion auf das Haus Borghese im Palazzo Pallavicini Rospigliosi an der Decke prangt, bereitete er in einer kleinformatigen Tuschezeichnung vor, die in ihrer reduzierten Schlichtheit die vollständige Komposition des späteren Kunstwerks kongenial in sich trägt.

 

Guido Reni nimmt sich mit klarer Kühnheit sämtliche Freiheiten, die das beginnende 17. Jahrhundert einem Maler darbietet. Er kostet sie auf allen künstlerischen Ebenen aus. Dieses ambitionierte, stets hoch souveräne Fluktuieren zwischen den Stilen, sowie seine wählerische Ambivalenz lassen ihn bis heute faszinierend und modern erscheinen. Es ist das Verdienst des Städels diesen großartigen Künstler in einer herrlichen Ausstellung aus dem Schatten des Vergessens in die Gegenwart geholt zu haben: den Künstler, der das Göttliche sichtbar gemacht hat.

 

www.staedelmuseum.de

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