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Eröffnungsrede
Maler walken Unsichtbares

Zu Beginn meiner Vorbereitung für diese Rede fragte ich Kai wie denn er und seine beiden Kollegen zu dem außergewöhnlichen Titel „Maler walken Unsichtbares“ gekommen seien. Da er mir darauf so wunderbar geantwortet hat, möchte ich seine Antwort kurz wiedergeben: „Nun ja, aus dem großen wunderschönen und doch so oft schweren Vorhaben aus dem nicht Sichtbaren ein Bild zu holen, wenn es klappt, ist das Innere froh.“

Erklärungen, was Kunst denn eigentlich sei, nichts anderes stellen ja Kais Worte vor, gibt es bekanntermaßen viele. Eine Definition, die mir besonders gut gefällt stammt aus dem Umkreis Goethes. Sie besagt, dass das Besondere der Kunst, auch in Hinblick auf andere Tätigkeiten die Tatsache sei, dass sie nichts will als sich selbst. Sie lädt uns ein bei ihr zu verweilen. Sie ist der erfüllte Augenblick.

In einer Zeit, in der der geschäftige Kunstbetrachter im Schnitt 6 Sekunden Augenkontakt zu einem Bildwerk hält, gleicht dieser Ansatz des erfüllten Augenblicks, der einlädt bei ihm zu verweilen, schon einer kleinen luxuriösen Revolution, die wir heute Abend jedoch begehen wollen. Denn wie anders sollte man dem Prozess der Sichtbarmachung des Unsichtbaren sonst nahe kommen?

Da es sich um eine Gruppenausstellung von drei Künstlern handelt, die in ihrem Studium einen ähnlichen Werdegang aufzuweisen haben, wäre es sicherlich verführerisch in dieser Einführungsrede nun in ihren Arbeiten vornehmlich nach Übereinstimmungen zu suchen. Sicherlich gibt es diese.

Allen dreien ist die überaus hohe Qualität des Zeichnerischen als auch des Malerischen zu eigen. Bei allen drei Künstlern ist dabei festzustellen, dass diese auf zwei Dimensionen ausgerichteten Techniken häufig auch der Ausgangspunkt sind, sie vom Flächigen ins Räumliche auszuweiten. Unterschiedlich sind die weiteren Wege, die sie dabei beschreiten.

Ist es bei Michael Hottner die stringente Linie, die auch in der Fläche räumliche Qualität besitzt, formieren sich bei Andreas Klöpsch auf wundersame Weise aus hölzernen Linien Gegenstände und Räume. Aus Kai Klahres Bildern wiederum entsteigen die menschlichen Figuren oder Tiere bisweilen wie von Zauberhand, dabei jedoch realistisch und überaus fein gebildet.

Die Zeichnung zum Ausgangspunkt zu nehmen, der Linie die Struktur des Schaffens zu überantworten aus welcher sich nahezu grenzenlos der weitere künstlerische Prozess fortentwickeln kann, ist ein seit der Renaissance verbreitetes Prinzip. Disegno ist der italienische Begriff, der jedoch mehr meint als die bloßen, mit dem Auge wahrnehmbaren Linien einer Zeichnung. Disegno bezeichnet auch den gesamten vorhergehenden kreativen Prozess. Er umfasst das Unsichtbare, das Geschehen im Geiste des Künstlers, das das später Sichtbare vorbereitet.

In Michael Hottners Werken bleibt die Zeichnung sichtbar und ist fester, optischer Bestandteil seiner Arbeiten und zeugt gleichwohl vom überlegten Entstehungsprozess der Komposition. Die Figuren in den Bildern Hottners agieren nie überstürzt oder hastend, vielmehr strahlen sie die gleiche Ruhe und Überlegtheit aus, die man von der Hand des Künstlers vermutet, der die Linien gesetzt hat. Künstlerische Form und Entstehung erscheinen harmonisch und kongruent.

Dabei sind diese feinen Striche aber mehr als nur die zarte Umfassung der Figuren. Sie geben ihnen eine vertrauensvolle Stabilität. So sitzt der junge Mann mit aufgeknöpften Stiefeln auf seiner Hängevorrichtung um ruhig und doch aufmerksam beobachtend auf die Welt des rosaroten Alltags unter ihm zu blicken. Er schwebt über ihr und ist doch ein Teil von ihr, wie wir am übereinstimmenden Farbton seiner Kleidung erkennen können.

Der Künstler selbst, mit hochgekrempelten Ärmeln unter der roten Steppweste, darf sich voll und ganz auf sein augenscheinlich anstrengendes Tun konzentrieren, obwohl er keine wirklich große Bildbühne, noch dazu in unsicherer Räumlichkeit, zur Verfügung hat. Die Linie hält ihn in seinem Gleichgewicht.

Zu vollkommener Entspannung ist der Mann im Wald gelangt. Zufrieden hat er sich auf dem Boden niedergelassen und an den großen Stamm eines Baumes gelehnt. Die Hände hängen lässig über seinen Knien. Der Blick ist nach oben gerichtet, dabei jedoch nicht ungeduldig wartend. Vielmehr kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, als hätte er nichts Besseres zu tun als den Pilzen beim Wachsen zuzusehen.

Auch wenn die meisten der Bilder von Michael Hottners Hand mit sehr reduziertem Bildpersonal auskommen, sind sie doch reich an hintergründigen Geschichten. Wie ein Fokus wirken sie, wie ein sorgfältiges Extrakt aus einem größeren Zusammenhang, der sich nun in diesen Figuren und ihren Handlungen verdichtet.

Auch bei Kai Klahre komme ich stets nicht umhin seinen bildnerischen Prozess mit dem eines Poeten zu vergleichen, der dann jedoch nicht mit Worten, sondern mit Bildern seine Geschichten erzählt.

Ut pictura poesis lautete Horaz Empfehlung im 1. Jahrhundert v. Chr. Wie ein Bild sei das Gedicht. In unserem Fall könnten wir dieses Zitat jedoch auch umdrehen: wie ein Gedicht sei auch das Bild. Kai verleiht unsichtbaren Geschichten eine sichtbare bildnerische Form. Er walkt das Unsichtbare. Wie alle guten Erzähler es jedoch tun, schreibt bzw. malt er seine Geschichten nicht zu Ende. Trotz ihrer eindrucksvollen bildnerischen Kraft behalten sie einen zarten Rätselcharakter.

Kai Klahre schreibt dabei keine neuen Geschichten. Meist wählt er Erzählungen, die fest im kollektiven Menschheitsgedächtnis verankert sind. So kennen wir vermutlich alle Hannibals  abenteuerliche Überquerung der Alpen mit seinen Elefanten. Aber haben wir uns diese je vorgestellt? Wussten wir, dass der General unter den Tieren natürlich reich geschmückt war, wie es sich für seinen Rang gebührt? Stolz und verantwortungsvoll beugt er im ausgestellten Gemälde sein prächtiges Haupt genau an der koloristischen Trennlinie, die ihn dadurch zum Grenzüberschreiter par excellence macht. Wie anders als durch eine Farbzäsur, einem Durchmessen zweier Farbflächen sollte ein Maler denn diesen geschichtsträchtigen Alpenübergang sonst darstellen?

Ebenfalls nicht unbedingt von pazifistischer Gesinnung waren die Skythen. Pferde waren der wichtigste Besitz des kämpferischen Nomadenvolkes um wendig und schnell von einem Ort zum nächsten zu kommen. Eine Kriegerin hat Kai Klahre aus dem Heer herausgenommen. Gefährlich weit lehnt sich diese Reiterin über den Pferderücken hinweg, elegant wagt sie sich agierend in den Raum. Der geflügelte Helm scheint sie jedoch nicht nur zu beschützen, sondern ihr auch die Leichtigkeit der geschmeidigen Balance zu verleihen, sodass sie siegreich aus dem Kampf hervorgehen wird.

Nicht wirklich um Leben und Tod geht es hingegen bei der Eisbärenjad zu. Weder das Tier noch sein angeblicher Jäger nehmen ihr Tun allzu ernst. Bunte Luftballons eignen sich bekanntlich weder als Munition noch als wirkliches Versteck vor dem gewaltigen Raubtier. Klugerweise hat der Bär das erkannt und brüllt nur aus Gewohnheit und um seinen Ruf der Gefährlichkeit nicht zu gefährden.

Keine wirkliche Macht scheint auch die Ururenkelin des Dauphins mehr zu haben. Sie stammt aus königlichem Hause, das können wir anhand des Titels nachvollziehen, da nur die jeweiligen Thronfolger der französischen Könige diesen Namen tragen durften. Als Reminiszenz an ihre großen Ahnen trägt sie die Herrscherfarbe schlechthin und zwar nicht nur am Leibe, auch der Hintergrund leuchtet Ehrfurcht gebietend in kräftigem Rot. Warum jedoch sieht sie so melancholisch drein? Ist ihrer Familie vielleicht die Herrschaft abhanden gekommen, schmücken sie sich anstatt der realen Kronen nur noch mit deren Erinnerung? Vermutlich wüsste nur der Geist der Kunst in seiner physischen Stabilität eine gewichtige Antwort darauf zu geben.

Mit dem Ansatz scheinbar Altbekanntes durch eine kleine Drehung ins Rätselhafte, ja sogar Surreale zu verkehren, arbeitet auch Andreas Klöpsch.  Mit Ver- und Entfremdungstechniken befasst er sich in seinen Lost Places, die wie fantastische Baumhäuser erscheinen.

Der künstlerische Prozess beginnt mit Holzfundstücken, die durch ein Zusammenfügen und Anbauen gestaltet werden. Die ungefähre Idee ist der Ausgangspunkt, die sich erst allmählich ausformt oder auch spontan geändert wird und so zu verspielten, geträumten Orten wird, wie sie der Künstler selbst nennt. Wie diese Orte jedoch gefüllt werden, mit welchen Geschichten, mit welchem Bildpersonal, mit welchen Träumen, das darf der Betrachter selbst entscheiden.

Auch die Arbeit der Delfter Kacheln lässt dem Rezipienten genügend Freiraum und spielt mit bekannten Sehgewohnheiten. Mit neuen Motiven versehen, transferiert er die traditionsreiche, alte Form in abgewandelter Technik in die Gegenwart. Im Moment sind es um die 60 Kacheln, die flexibel gehängt und auch beliebig erweitert werden können, da die Motivwahl keine zufällige ist. Andreas Klöpsch wählt Tierarten aus, die bedroht und in ihrem Überleben gefährdet sind. Bekanntermaßen ist dies ein so trauriger wie kontinuierlicher Prozess.

Den Anfang der Tierreihe bilden deshalb die Primaten und Säugetiere, weil sie uns am nächsten stehen und dadurch einen direkten und unmittelbaren Bezug zum menschlichen Betrachter herstellen. Die netzartige Struktur in der Anordnung spielt dabei symbolisch auf die gegenseitige Abhängigkeit innerhalb der Natur an.

Jedoch ist nicht nur die Motivwahl, sondern auch die Technik detailliert durchdacht. Bei den quadratischen weißen Bildern handelt es sich nämlich nicht um Keramik oder Porzellan, wie man aufgrund der Farbe und Oberfläche meinen könnte, sondern um Aluplatten, die mit Harz beschichtet und danach mit dünnflüssiger Acrylfarbe bemalt und anschließend hochglanzversiegelt werden. Sowohl optisch als auch haptisch wirken diese in ihrer Oberflächenerscheinung wie die berühmten holländischen Keramikfliesen. Mit einem Augenzwinkern wird hier dem Betrachter vermittelt, dass er nicht immer alles glauben soll, was er sieht, vor allem dann, wenn es sich um scheinbar Bekanntes handelt.

 

Klug stellt sich der Künstler mit dieser Arbeit dem Jahrhunderte alten Phänomen der Materialnachahmung. Auch die ursprünglichen Delfter Kacheln waren im eigentlichen Sinne nämlich kein Originalprodukt, sondern eher eine Täuschung, da sie das im 17. Jahrhundert so heißt begehrte, in Europa jedoch nicht herstellbare Porzellan mit anderen Materialien nahezu perfekt imitierten.

 

Die Zeichnung zum Ausgangspunkt eines künstlerischen Prozesses zu wählen, der sich durch qualitätvolles technisches Können, Klugheit und einer Prise rätselhaften Humors auszeichnet; dem Betrachter Freiräume beim Schauen zu gewähren; mit Bildern Geschichten zu erzählen, deren Ausgang ungewiss ist: all das verbindet die drei Künstler Andreas Klöpsch, Michael Hottner und Kai Klahre, die nicht nur als Maler Unsichtbares walken, sodass ihre Werke zu wahrhaft erfüllten und erfüllenden Augenblicken werden, vor denen es sich lohnt zu verweilen.

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