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Gedanken zur Art Week in Berlin

Wer der lockenden Versuchung der häufig sehr geschickt platzierten Museumsshops nicht widerstehen kann, um zumindest eine Postkarte als bleibende Erinnerung an den meist nur kurzen Kunstgenuss zu erwerben, bekommt diese seit einigen Jahren fast immer in ein Tütchen mit der gleichen Aufschrift gesteckt: Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit. Der kluge Karl Valentin hat diesen humorig ernsten Ausspruch getan. Nahezu vier Tag lang stimme ich ihm ununterbrochen zu. Vielleicht erscheint mir die Art Week in Berlin auch deshalb so herausfordernd, da sie dieses Jahr für mich ein radikales Kontrastprogramm darstellt. Zwei Tage zuvor saß ich noch auf den felsigen Klippen einer tropischen Insel im Atlantik, deren Schätze keine kunsthistorischen Meisterwerke sind, sondern die aufrichtige Schönheit der Natur: die Farbenpracht der exotischen Früchte prangt derart üppig, dass sie kein Venezianer und kein Niederländer schöner hätte malen können, das endlose Meer glitzert so überwältigend, als würden alle Diamantenhändler Antwerpens ihre Juwelen darübergestreut haben. Ich komme aus dem staunenden Schauen nicht heraus. Die sehnsüchtige Dankbarkeit eines solchen Erlebens gleicht dem der Bewunderung eines Kunstwerks und ist doch von ganz anderer, aber nicht minder berückender Art.

 

Nun also Berlin. Keine einsame Weite des Ozeans, stattdessen dichtes Gedränge in Innenräumen, keine makellos strahlende koloristische Opulenz, sondern Kunst mit Diskussionsbedürfnis. Ich starte auf der Positions Berlin Art Fair in den Gebäuden des ehemaligen Tempelhofer Flughafens. Noch sind die Galerien mit dem Aufbau beschäftigt. Bilder lehnen verpackt an den Stellwänden, Bohrer lärmen ohrenbetäubend, eilende Assistentinnen tragen wichtige Pakete. Während sich die einen Galeristen betont lässig geben, können andere doch einen Hauch von Nervosität nicht ganz verbergen. Dazwischen – wir sind schließlich in Berlin – wandert vermeintlich anonym und doch von jedermann diskret erkannt, die ein oder andere kunstaffine prominente Person. Ich sehe mich um, entdecke viel Bekanntes und Neues. Die ganz große Überraschung bleibt aus. Obwohl es eine Messe für zeitgenössische Kunst ist, gibt es hin und wieder auch Galerien, die weiter in die Vergangenheit zurückgehen mit ihrer Präsentation. So ist die glücklicherweise seit einigen Jahren wiederentdeckte Lotte Laserstein vertreten und begeistert mich mit ihrer auch jetzt noch gültigen Modernität. Ein kleiner, freundlicher Fuchs, der die geküsste Gans aber nicht wieder hergibt (so lautet der feinsinnige Titel), entzückt mich zum Abschied. Erst kürzlich hatte ich den Künstler Carlo Leopold Broschewitz auf Instagram entdeckt. In der undurchsichtig verwirrend düsteren Atmosphäre der MaHalla, die mich zu so später Stunde dann doch etwas überfordert, wird der Abend lang. Musik, Malerei, Objektkunst, Environments, Performances, Besucher – alles geht traumwandlerisch und übergangslos dunkel ineinander über.

Die Sonne strahlt am nächsten Tag. Vielleicht trägt allein das leuchtende Wetter dazu bei, dass ich die Ausstellung in den Wilhelmhallen als unbedingt bereichernd und anregend empfinde in ihrer Klarheit, Vielfalt und angenehmen zeitgenössischen Ästhetik. Nicht immer kann ich dem mittlerweile so oft gesehenen Kontrast der rauen Industriebrache in Verbindung mit Gegenwartskunst etwas abgewinnen. Hier wurde diese Kombination jedoch auf inspirierende Art und Weise genutzt. Wem diese Form der Rezeption zu passiv ist, kann in einer ephemer transportablen Tanzbox neben dem Geist auch den Körper in Bewegung versetzen. Wie wichtig der richtige Takt ist, erlebe ich in Berlin einmal mehr. Es ist darum zu tun nicht gegen den Rhythmus der Stadt zu agieren, sondern immer mit ihm. Das unbedingte sich Einlassen macht aus der Ermüdung eine Erquickung.

Zurück im Zentrum schlendere ich zur Neuen Nationalgalerie. Isa Genzgens überdimensionale Rose ist ein Publikumsmagnet. Während die durch die gläserne Außenwand des Museumsbaus vom gesamten Areal aus sichtbare Ausstellung der Künstlerin in ihrer Überfülle und Divergenz eher verwirrt als beeindruckt, funktioniert die popartige Symbolsprache der Blume fast zu perfekt. Sie ist der Star des täglichen Spektakels, das unter der Herrschaft Klaus Biesenbachs hier zur Art Week veranstaltet wird: Musik, Performances, und innovative Cateringideen könnten nicht besser choreographiert sein. Selbst der stahlblaue Spätsommerhimmel wirkt wie extra für dieses Event gecastet. Der Abend endet im Raum für Kunst, der örtlich nichts Neues bietet: von ihrer Vergangenheit nur mehr nostalgisch rudimentär erzählende Fabrikgebäude gestempelt mit dem immer gleichen Berlinimage. Während Jonathan Meese erfolgreich(?) fordert: Nur Kunst ist Chef, dröhnt die Musik in den Hallen. Ich wende mich bereits dem Gehen zu, als ein Gemälde meinen Blick festhält. Zwei Gesichter in Nahsicht drängen sich mit zwei Schmetterlingen eng aneinander. Das Bild ist technisch brillant gemalt und doch von träumerischer Irrealität. Es ist zart und zeugt gleichzeitig von einer ungeheuren Energie. Mir scheint als seien hier Kräfte, die auch gegeneinander zu wirken im Stande sind, in einem überirdischen Moment der absoluten Gleichrangigkeit festgehalten. Nur schwach noch ist auf dem Boden mit Kreide der Name der Künstlerin zu lesen. Ich suche und finde Anne Bengard auf Instagram und tauche in Bildwelten ein, die mich begeistern wie bisher nur wenig auf dieser Art Week.

 

Am nächsten Tag steht viel auf dem Programm. Der Salon Dahlmann, eine typische großbürgerliche Wohnung, deren Schnitt es so nur in Berlin gibt, wurde vom Sammler Timo Miettinen mit exquisiter Kunst ausgestattet. Zu bestimmten Zeiten können die privat bewohnten Räumlichkeiten von jedermann besichtigt werden. Zur Art Week sind ausschließlich abstrakte Kunstwerke aus der umfangreichen Sammlung gehängt. Leiko Ikemuras Komposition aus zart kräftigen Linien und Flächen bleibt mir besonders im Gedächtnis. Verlässt die Künstlerin doch sonst nur selten gänzlich die Gegenständlichkeit. Im besten Sinne dem Sichtbaren verhaftet bleiben hingegen in der Galerie Bernheimer Contemporary die beiden Künstler Johannes Vetter und Andreas Blank. „You can‘t always get what you want“ lautet der sinnige, von den Rolling Stones entliehene, Titel der Ausstellung. Formt der Bildhauer aus feinstem Marmor ein blütenweißes Hemd samt Aktenkoffer, zeigt der Maler Johannes Vetter den Genuss eines Lollis in solch dramatischer Nahsicht, dass man glaubt die glatte Zuckerglasur selbst auf der Zunge spüren zu können. Aber: man bekommt eben nicht immer, was man möchte.

 

Im Treppenhaus eines besonders schönen Gebäudes, das früher vom berühmten Künstler Adolph von Hildebrandt bewohnt wurde, grüßt mich ein Paar freundlich. Der freche Sebastian Neeb beweist in der Galerie Reiter eine gehörige Portion Humor, wenn er es mit so einigen Größen und auch Legenden der Kunstgeschichte aufnimmt. Albrecht Dürer hat augenscheinlich ein Augenleiden und etwas zu groß geratene Nürnberger Bratwürste für den schnellen Hunger mit dabei. Gleich gegenüber strotzen die Galerien Hetzler und Judin mit überdimensionierter „Siegerkunst“. Umso mehr freue ich mich hier über das unerwartete Wiedersehen mit den zauberhaften Wesen der einzigartigen Künstlerin Cornelia Schleime. Ein schneller Blick auf Instagram überrascht mich mit einer liebenswürdigen Nachricht: die von mir bewunderte Künstlerin Anne Bengard vom Abend zuvor war die freundlich grüßende junge Frau im Treppenhaus, die mich aufgrund unseres Kontaktes über das soziale Medium erkannt hatte. Die Kunst hat eine Begegnung geschaffen, die sich von der digitalen wieder in die reale Welt bewegt hat. So muss Berlin sein. Der Abend klingt im wahrsten Sinne des Wortes aus. In der von der Eigentümerin Frieda Vogel so charmant wie engagiert geführten Galerie Vogel gibt der Künstler Jens Joneleit Beweise seiner beiden Talente. Während die Wände mit seinen beeindruckenden abstrakten Großformaten geschmückt sind, begleitet Joneleit die Besucher virtuos auf dem Schlagzeug auf der Finissage seiner Ausstellung.

Schnell vergehen die verbleibenden Stunden. Den Sonntagvormittag habe ich das angenehme Vergnügen in den so stilvoll wie kunstsinnig eingerichteten eleganten Räumen der Sammlerin Corina Krawinkel zu verbringen, die zu Ehren des Künstlers Andreas Schmitten einen Art Brunch veranstaltet.

Vor der Rückreise besuche ich noch kurz die Newton Foundation. Vertraut sind die Bilder des berühmten Fotografen. Und dennoch sehe ich sie heute anders an als früher. Feiert er wirklich die weibliche Schönheit auf Augenhöhe oder ist es nicht doch wieder der ewig gleiche male gaze, diesmal in machtvoller Hochglanzästhetik? Ich schwanke – noch ein bisschen mehr als ich die Bilder seiner Frau betrachte. Oft begleitete sie ihren Mann bei dessen Shootings und nahm durch ihre am Set gemachten humorvollen Schnappschüsse den Aktbildern die aggressive Brisanz.

 

Durch Zufall kam June Newton zur Fotografie. Als ihr Mann 1970 an einer Grippe erkrankte, sprang die gelernte Theaterschauspielerin nach einer schnellen Kameraunterweisung kurzerhand für ihn ein und schoss die Werbefotos für Gitanes. Die Karriere einer Ehefrau, die sich aber klugerweise bald den Künstlernamen Alice Springs zulegte, begann. Zu ihrem 100. Geburtstag wird sie nun in dem Berliner Museum mit einer Einzelschau gewürdigt. Offensichtlich sind sowohl die Nähe als auch die Unterschiede im Kunstschaffen der beiden Fotografen. Wo ihr Mann das Ersichtliche zeigt, sucht sie nach dem Subtilen, der leisen nicht lautsprecherischen Eleganz, dem versteckt Menschlichen, das ihre berühmten Modelle für gewöhnlich vor der Öffentlichkeit verbergen. Trotz oder gerade wegen dieses anderen Blickwinkels sind ihre Abbilder all dieser anmutigen Menschen so faszinierend. Ich bin nicht nur oberflächlich betört von der aufrichtigen Schönheit ihrer Werke. Im Gegensatz zu den heute millionenfach gesehenen digitalen Idealgesichtern strahlen ihre Porträts eine interessierte Nahbarkeit aus, scheinen rein, innovativ und niemals ermüdend in ihrer Frische und Natürlichkeit. Jene von ihr gezeigten Facetten entfernen sich bisweilen so weit vom Bekannten, dass man die Prominenten fast nicht erkennt: ein berückend junger und in seiner Ernsthaftigkeit anrührender Yves Saint Laurent, die zärtlich ihr Kind haltende Prinzessin Caroline mit dem im Hintergrund beschützend stehenden Karl Lagerfeld sowie die jedes Mal wieder atemnehmende Schönheit einer Charlotte Rampling, deren Nachname sogar in die englische Sprache einging. To rample bedeutet einen Mann mit kühler Sinnlichkeit wehrlos zu machen.

 

Wenn Kunst so schön ist, darf sie auch Arbeit machen.

www.annebengard.com

www.carlobroschewitz.de

www.mondgalerie.de

www.jensjoneleit.com

www.reitergalleries.com

www.sebastianneeb.de

www.bernheimercontemporary.de

www.johannesvetter.com

www.andreasblank.com

www.wilhelm-hallen.de

www.mahalla.berlin

www.miettinen-collection.de

www.helmut-newton-foundation.com

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