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Gedanken zur Ausstellung „Herausragend! Das Relief von Rodin bis Picasso“

Im Städel Museum Frankfurt
Günther Uecker, Gerhard Richter, Hans Arp, Aristide Maillol, Constantin Brancusi, Lucio Fontana

„Figur auf Grund,“ so lautet die einfachste und in vielen Fällen immer noch gültige Definition der bis heute aktuellen Kunstgattung Relief. Sie ist ein Zwitterwesen – weder Malerei, obwohl Rahmen und flächiger Hintergrund zu ihrem Erscheinungsbild gehören, noch reine Bildhauerkunst, obwohl die fühlbare Plastizität der erhabenen Oberfläche eines ihrer Erkennungsmerkmale darstellt. In der Zeit der Früh- und Hochrenaissance hatte das Relief, das seinen Namen vom lateinischen relevare (erheben) herleitet, seine erste nachantike Blüte. Von Ghiberti über Brunelleschi, von Donatello bis zu Michelangelo und Cellini, alle Talente jener Zeit schufen in dieser Gattung Herausragendes. War das Relief doch prädestiniert eines der wichtigsten künstlerischen Themen jener Zeit in eindringlicher Weise zu diskutieren. Der Paragone, der berühmte Wettstreit um die Vorrangigkeit der Gattungen Malerei oder Bildhauerkunst konnte virtuos vor den Augen der Betrachter verhandelt werden. Wurde das Relief in den darauffolgenden Epochen häufig auch als schmuckhaftes Beiwerk angesehen, folgte eine erneute Hochzeit im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Auf diese Zeit, als in der Kunst das Primat der Sichtbarmachung eines erzählenden Inhaltes zunehmend von der Wichtigkeit und Präsenz der Form abgelöst wird, richtet die Schau in Frankfurt ihr Hauptaugenmerk. Sowohl das Ausloten künstlerischer Praktiken und Schaffensprozesse als auch die Möglichkeiten neuer Materialien und Techniken stehen im Mittelpunkt. Dem leisen Nähern an die Abstraktion wird dabei eine besondere Aufmerksamkeit zuteil. Weit spannen die Kuratoren das Feld, schieben die Gattungsgrenzen nach außen und erschaffen dem Besucher so überraschend viel Rezeptionsspielraum. Gerade jene Objekte, die auf den ersten Blick nicht als Reliefs erkennbar sind, machen die Ausstellung so interessant und sehenswert.

 

Bereits die Eingangshängung macht klar, dass man hier mit den üblichen Denk-, Seh- und Fühlgewohnheiten nicht weit kommen wird. Ein von Ludwig Schwanthaler erschaffenes rundes Bronzeschild, das dem des Herakles nachempfunden wurde, zeigt antike Heldentaten im Rundlauf. Nach außen, auf Seiten des Künstlers, wird die physische, kreisförmige Tat, der beim Bildhauer des 19. Jahrhunderts bildinhärenten Handlung, in der neben hängenden Arbeit verlagert. Günther Uecker schuf ebenfalls ein Kreisrund, jedoch nur durch das Einschlagen seiner berühmten Nägel. Beide Kunstwerke lassen sich aber durch die Erhabenheit ihrer Oberflächenstruktur nahezu klassisch zur Gattung des Reliefs zählen.

 

So leicht wird es dem Besucher im Verlauf der Ausstellung jedoch nur selten gemacht. Sind die seidenpapiernen Streifen von Hermann Glöckner, die sich nur minimal vom Bildträger abheben, und auf den Untergrund mittels Kleber aufgebracht werden, Reliefs? Ertasten würden sie sich nicht lassen, aber die aufbringende Vorgehensweise spräche dafür. Es ist eine große Herausforderung, jenes Fühlen, das im musealen Kontext nicht vorkommen darf, in anderer Weise dennoch für den Besucher erlebbar zu machen. Ist es für diese Gattung doch noch essentieller als für ein vollplastisches Werk, das die Möglichkeit der dynamisch-physischen Umrundung bietet. Die zum Relief gehörende Erhabenheit muss hingegen ausschließlich durch den Sehsinn erfasst werden. Mit jenen Methoden der Wahrnehmung, beispielsweise einem „tastenden Sehen“ wie Ludwig Fernow es zu Beginn des 19. Jahrhunderts so treffend formulierte, spielt die Schau auf sehr subtile Weise. So wellt sich Gerhard Richters gemalter grauer Vorhang täuschend echt dem Betrachter entgegen und bleibt doch komplett der Fläche verhaftet.

Auch Lucio Fontana spielt mit der Flächigkeit des Bildträgers. Jedoch erzeugt er nicht mittels Farbe einen imaginären Tiefenraum, sondern durch einen an sich destruktiven Akt. Mit vier präzisen leicht bogenförmigen Einschnitten in die tiefblaue Leinwand entsteht ein reales Relief aus der Ebene heraus. Eine nahezu konträre Technik wendet Hans Arp an, wenn er statt zu schneiden eine weiße Schnur, zart wie eine gezeichnete Linie auf den weißen Untergrund platziert. Lediglich die leicht erhabene Plastizität des textilen Materials erzeugt einen Kontrast zum gleichfarbigen Untergrund und vermittelt dem Motiv zudem eine augenzwinkernde Leichtigkeit. Zwei höchst individuell abstrahierte, einander zugewandte  Köpfe fragen sich vermutlich just in diesem Moment, was sie eigentlich miteinander zu tun haben.

 

Jedoch hat sich die Gattung des Reliefs nicht nur mit der Fläche des Grundes auseinanderzusetzen, sondern auch mit dem Rahmen. Seit sich die begrenzte Form des Tafelbildes etabliert hat, wird dieses von einer Umrandung umgeben. Ein besonders schönes Beispiel für die Energie, die ein Motiv zu entfalten in der Lage ist, stellt das Bronzebild „le désir“ von Aristide Maillol dar. Ein Paar ringt miteinander zwischen Anziehung und Abwehr. Die bronzenen, sich nahezu vollplastisch rundenden Körper fügen sich nur mit Mühe in die quadratische Fläche ein. Sowohl er als auch sie pressen ihre Füße in jeweils ein Bildeck, wobei die Kraft mit der dies getan wird, das Material zu verformen vermag. Erst der Kontrast zum streng begrenzenden Rahmen lässt die Stärke der Leidenschaft und des Verlangens besonders zur Geltung kommen.

 

Ein weiteres hochberühmtes Paar ist in der Ausstellung zu sehen. Kämpfe wie Maillols Liebende haben sie aber schon lange nicht mehr auszufechten und auch die Zweidimensionalität der Fläche kann ihnen nicht genügen. In inniger Umarmung, die in der einzig möglichen Schlussfolgerung eines sie miteinander zu einer Einheit verschmelzenden unabdingbaren Kusses mündet, bleiben sie auf ewig verbunden. Der rumänische Künstler Constantin Brancusi hat mit diesem Kunstwerk eine überzeitliche, allgemeingültige Metapher der Liebe erschaffen, die weder formal noch inhaltlich irgendeiner Erklärung bedarf. Das Moment der Ewigkeit hat er so klug wie sensibel dadurch verdeutlicht, dass der von allen vier Seiten ansichtige, dreidimensionale Gipsblock rundherum die Möglichkeiten der menschlichen Zärtlichkeit als nur sacht angedeutetes Relief aufzeigt.

 

Objekte wie dieses im Raum platzierte Kunstwerk sorgen innerhalb der auch farblich sehr kühl und zurückhaltend gestalteten Ausstellung für eine erlebbare Lebendigkeit, die gerade auch deshalb so guttut, da viele der Exponate ausschließlich für eine Wandanbringung geeignet sind. Die Kuratoren gestatten sich und den Besuchern ein weites, umfangreiches und unkonventionelles Nachdenken über die mannigfaltigen Form- und Inhaltsmöglichkeiten der so herausragenden Gattung des Reliefs, das dann doch soviel mehr ist als nur Figur auf Grund.

 

https://www.staedelmuseum.de/de/herausragend

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