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Gedanken zur Ausstellung „Becoming Famous. Peter Paul Rubens“

In der Staatsgalerie Stuttgart

Peter Paul Rubens gilt als der Inbegriff des Barockkünstlers: begabt, berühmt, wohlhabend und vielgereist. Diplomatischer Charme, großartiges Talent und ökonomischer Ehrgeiz gepaart mit dem feinen Gespür für das, was wir Heutigen Zeitgeist nennen würden, zeichneten dieses einzigartige Künstlerleben aus. Entsprechend dieser Kulmination an Superlativen rangiert Rubens auch heute noch ganz oben auf der Rangliste der Künstler, die in den letzten Jahren durch Einzelausstellungen geehrt wurden. Ähnlich dem Fall seines großen Antagonisten Rembrandt ist die Anzahl der monografischen Rubens-Schauen kaum mehr überschaubar, wobei der Höhepunkt sicherlich die grandiose Ausstellung „Kraft der Verwandlung“ im Frankfurter Städel aus dem Jahr 2018 war. Nun versucht man in Stuttgart anhand von 90 Exponaten aus eigenem Bestand, zahlreichen Leihgaben sowie etlichen lediglich im digitalen Format präsenten Schlüsselwerken den Mechanismen seines Erfolgs nachzuspüren.

 

1577 wurde Peter Paul Rubens im Exil in Siegen geboren. Rätselhaft bleibt die an sich unter dem Stande einer patrizischen Familie der Antwerpener Oberschicht stehende Entscheidung für eine malerische Ausbildung des Jungen. Jedoch nicht nur in der Malerei, sondern auch in Rhetorik, Latein und höfischen Umgangsformen wurde er unterrichtet. Eine Ausbildung, die ihm später von allergrößtem Nutzen sein sollte.

 

Die italienischen Jahre von 1600 bis 1608 sind entscheidend für Rubens‘ später in den Niederlanden noch wachsenden Erfolg. Eine Schwierigkeit, die sich in der Ausstellung gleich zu Beginn zeigt: Hauptwerke der römischen Zeit, die für den Aufstieg des jungen Künstlers eine wichtige Rolle spielen, können aufgrund ihrer Ortsgebundenheit nur digital präsentiert werden. Zahlreich hingegen sind die druckgrafischen Exponate. Sie bezeugen wie bald Rubens diese vervielfältigende Methode der Verbreitung des eigenen Formenschatzes als Schlüssel zum Erfolg erkannte und anwandte. Früh zu Tage tritt hier sein Gespür für ein perfekt ausbalanciertes Maß an Innovation. Selten nur schockiert er sein Publikum nachhaltig, meist weiß er seine Neuerungen in bekömmlichen Dosen zu verabreichen.

 

Das Hauptwerk der Ausstellung ist jedoch keine Grafik, sondern das großformatige Bildnis der „Maria Giovanna Serra mit ihrer Großmutter Geromina Spinola Spinola“ aus der Genueser Zeit Rubens‘ um 1605. Ausführliche, im Katalog detailreich nachzulesende Forschungen, vornehmlich die Identität der Dargestellten betreffend, gingen dieser Präsentation vorweg. Trotz der dem barocken Kanon entsprechenden Formensprache strahlt dieses Gemälde eine zarte Anmut aus. Reizvoll ist der Kontrast des Doppelporträts von Großmutter und Enkeltochter auf vielen Ebenen: Alter gegen Jugend, erfahrungsreiche Gelöstheit gegen kindliche Unbedarftheit, an der Witwentracht erkennbare klösterliche Entsagung auf Seiten der würdevollen Dame gegen die luxuriöse Aufmachung der heranwachsenden kleinen Enkelin. Rubens‘ Darstellung ist von meisterhaft beobachteter Menschenfreundlichkeit. Denn nicht nur die Unterschiedlichkeit stellt er anrührend dar, sondern auch die liebevolle, auf familiärer Verbundenheit basierende Zuneigung. Begleitet werden diese feinsinnigen und für das Werkschaffen Rubens‘ so charakteristischen Gegenüberstellungen von wohl bekannten Würdeformeln, wie Säule und Samtdraperie, die mit selbstbewusster Stofflichkeit beeindrucken dürfen. Von größtem koloristischem Raffinement ist der Einsatz der Farbe Rot. Einerseits unterstreicht der Samtvorhang in seiner materiellen Opulenz den herrschaftlichen Kontext, andererseits bietet er eine subtile Folie für die schlichte und doch so würdevolle Erscheinung der Großmutter. Diese Vielschichtigkeit in der Lesbarkeit der einzelnen Details ist kennzeichnend für Rubens.

 

Eine andere These hingegen vertritt die Autorin des Katalogaufsatzes Anna Orlando: „Vielleicht sollte diese Inszenierung die drastische Lebensentscheidung betonen, die für das Kind getroffen wurde, das einige Jahre später (…) ins Kloster eintreten sollte. All das, was sie bald hinter sich lassen musste, um in Askese und Keuschheit zu leben, wird detailliert geschildert. Die hinter dieser Lebensentscheidung stehende Standfestigkeit und die ihr zugrunde liegenden festen Prinzipien sind durch das in Porträts etablierte Symbol der Säule und des Sockels im Hintergrund angedeutet.“ Angesichts der Tatsache, dass im ausgehenden 16. Jahrhundert in Italien bis zu 50 Prozent aller Adelstöchter ins Kloster geschickt wurden, erscheint der von der Familie gewählte Lebensweg für Maria Giovanna im Verständnis der Zeit wenig drastisch. Sehr konstruiert wirkt außerdem die Aussage, die prachtvolle Aufmachung des Kindes würde auf den späteren Verzicht verweisen. Es steht vielmehr zu vermuten, dass die opulente Ausstattung Maria Giovannas – der Stand der verwitweten Großmutter hätte eine solche nicht gestattet – den überaus großen Reichtum ihrer Familie verdeutlichen sollte. Sie wird als Repräsentantin und Angehörige der Oberschicht ins Bild gesetzt, denn Kinder waren im 17. Jahrhundert Garanten und Sinnbild für den Fortbestand der Adelsdynastien. Für Töchter bedeutete dies entweder eine möglichst gute Partie zu machen oder im Kloster für das Seelenheil der Familie zu beten und dem Vater durch das Wegfallen einer ehelichen Mitgift eine beträchtliche Summe zu sparen.

 

Im Barockzeitalter wurde Kindheit nicht als eigenständige Lebensphase betrachtet, erkennbar beispielsweise auch an der einfach auf kindliche Maße geschneiderten Erwachsenenkleidung. Rubens‘ kunsthistorischer Verdienst besteht darin als einer der ersten Künstler adelige Kinder neben ihrer repräsentativen Funktion auch in all ihrer spezifischen Wesenheit in seinen Bildern sichtbar gemacht zu haben. Das Stuttgarter Gemälde ist hierfür ein zauberhafter Beweis.

 

Von Klugheit und Respekt geprägt war auch Rubens‘ Umgang mit den Werken seiner Kollegen. Wie kein anderer Künstler jener Zeit beherrschte der Flame die Meisterschaft der Anverwandlung: intensiv und akribisch studierte er vorbildhafte Werke, durchdrang sie und formte in seinen eigenen Arbeiten daraus etwas Neues. Er tat dies nicht im Sinne einer „diebischen Elster“, wie David Jaffée es so unpassend in seinem Katalogaufsatz formuliert, sondern im antiken Sinne der Metapher einer „Kunstbiene“, die weitläufig umherfliegt, das Beste erkennt, um daraus ihren eigenen kostbaren Nektar zu formen. Dieser Topos wurde innerhalb der Kunsttheorie des 17. Jahrhunderts z.B. von Joachim von Sandrart in Anlehnung an Horaz oder Lukrez als höchstes Künstlerlob verstanden.

 

Das kleine, durchgängig eigenhändige Werk der „Flucht nach Ägypten“ kann hierfür als Diskussionsgrundlage herangezogen werden. Spannend ist der von Justus Lange erwogene Einfluss Caravaggios, der vermutlich größer war als bisher angenommen. So erinnert das ernste, von dunklen Augenbrauen gerahmte Antlitz der Maria verblüffend an die so strengen Madonnengesichter Caravaggios, die dieser zu jener Zeit in Rom malte. Und auch die perspektivische Dramaturgie des hilfreichen Engels kann eine Verwandtschaft mit Caravaggios Himmelsboten aus dem Martyrium des Hl. Matthäus der Contarelli Kapelle nicht verleugnen. Rubens hat jedoch nicht nur Caravaggio durch solche Zitate seinen Respekt erwiesen. Bei der Beleuchtung der vorliegenden Nachtszene griff er auf eine Komposition seines früh verstorbenen Freundes Adam Elsheimer zurück. Dessen Darstellung der Hl. Familie auf der Flucht rückt die Figuren jedoch weiter vom Betrachter weg, um der ersten exakt gemalten Milchstraße der Kunstgeschichte Raum zu verschaffen.

 

Rubens bleibt in seiner weich nuancierten Nachtszene der große Figurenmaler. Nah rückt er sie an den Betrachter heran. Trotz der sicherlich angsterfüllten Situation wird das Werk durchleuchtet von göttlicher Zuversicht und Sicherheit. Denn nicht Josef leitet die kleine Gruppe an, sondern zwei starke, mutige Engel. Sie ebnen den Weg und führen den Esel stramm am Riemen. Joseph nimmt mit verhaltener Dramatik die Rolle des Beobachters ein. Vom Betrachter abgewandt hält er Ausschau nach etwaigen Verfolgern. Inmitten dieser flankierenden Momente der Spannung darf das Jesuskind im beschützten, weich beleuchteten Zentrum, zart umfasst von seiner Mutter sanft an deren Brust schlummern. So sicher von Engeln geführt, vom göttlichen Licht geleitet und von Joseph bewacht können Mutter und Kind ruhevoll ihrer Wege ziehen.

 

Allein für diesen Moment himmlischer Ruhe hat sich der Besuch der Ausstellung mehr als gelohnt.

www.staatsgalerie.de

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