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Gedanken zu einem Besuch der Schack-Galerie München

Franz von Lenbach, Moritz von Schwind, Carl Spitzweg, Anselm Feuerbach, Arnold Böcklin

„Allein durch das Sehen von Bildern erwachte in mir die Neigung zu näherer und wiederholter Betrachtung derselben, das Streben zu tieferem Eindringen in die Geheimnisse der Kunst, und ich würde den Genuß wie die Belehrung, die ich aus dieser Beschäftigung geschöpft, für Nichts hingeben.“ (Graf Schack 1888)

 

München leuchtet heute nicht, es strahlt. Nach endlos scheinenden Tagen und Wochen grauen Dauerregens, gibt sich die bayerische Hauptstadt, als hätte sie nie etwas anderes getan, als helle Sommerfreude zu zelebrieren. Der Eisbach lässt die Wagemutigen durch den englischen Garten wirbeln, das Blau des Himmels könnte selbst Spitzweg nicht klarer malen und der so unsinnige wie charmante Satz, dies sei die nördlichste Stadt Italiens, wird wie immer stolz geraunt auf den Caféhausstühlen, die schon der Monaco Franze immer nur nach Süden ausrichtete.

 

König Ludwig I. zeichnet vornehmlich verantwortlich für das italienische Aussehen seiner Residenzstadt. Er liebte das Land jenseits der Alpen. Als er 1804 zum ersten Mal dorthin fährt, ist er schier überwältigt. Rasch verwandelt er seine Kunstbegeisterung in Sammelleidenschaft und überzieht bereits zu Beginn der Reise sein Budget gewaltig. Wie nah und freundschaftlich Ludwig mit den Künstlern in Rom verkehrte, dokumentiert bis heute auf heitere Weise das berühmte, normalerweise in der Neuen Pinakothek ausgestellte Gemälde von Franz Ludwig Catel, das den Kronprinzen als primus inter pares in fröhlicher Runde in einer Weinschenke in Rom zeigt. Ludwig selbst hatte es viele Jahre später als Erinnerung an jene Zeit bei Catel in Auftrag gegeben.  

 

Im Gepäck hatte Ludwig bei seiner Italienreise ein völlig anderes Kunstverständnis als sein pragmatisch gemütlicher Vater Max I. Joseph, der beim Anblick der Münchner Glypotheksbaustelle sagte: „Sehen Sie sich meinen Sohn an, er ist bereit eine Million auszugeben für Bruchstücke, während er es ablehnt, Wäsche für seinen Haushalt zu kaufen.“ Ludwig hingegen war soviel Nüchternheit ein Gräuel: „Als Stiefkind wird bei uns die Kunst behandelt, als Luxussache. Als wenn Kunst nicht in allem sein sollte, so lang dies nicht ist, sind wir alle noch Barbaren.“ Von dieser Idealvorstellung rückte der Sohn nie mehr ab. Und so bereiste er das Land, das für ihn wie kein anderes Kunst, Kultur und Schönheit verkörperte, nahezu 30 Mal. Sogar ein Anwesen erwarb der spätere Bayernkönig in Rom. So war er der einzige deutsche Fürst mit Grundbesitz in der ewigen Stadt. 1827 kaufte er die Villa Malta. „Giardino di Malta, meine eigenthümlich mir gehörende Wohnung in Rom, wie wert bist du mir, geliebtes Asyl, wo ein König endlich den Menschen findet, den er in der Heimat verloren hat.“ Die schöne Marchesa Marianna Fiorenzi war an der italienischen Leidenschaft des Wittelsbachers sicherlich ebenfalls nicht ganz unschuldig. Über viele Jahre hinweg war sie seine Freundin und Geliebte. Marianna blieb in Italien. Die künstlerischen Eindrücke jedoch nahmen ihren Weg über die Alpen in vielerlei Gestalt: Triumphbögen finden sich im Siegestor wieder, die altchristlichen Basiliken in St. Bonifaz, die Loggia dei Lanzi in der von Friedrich von Gärtner bis 1844 errichteten Feldherrenhalle. Deutlich sind die Übernahmen auch in der unter Ludwig I. entstandenen Residenz zu erkennen, die wie die Zwillingsschwester des Palazzo Pitti anmutet.

Neben diesen offensichtlichen Verwandtschaften gibt es aber noch einen Ort in München, an dem man sich unversehens einige Hundert Kilometer nach Süden versetzt fühlt. An der verkehrsumtosten Prinzregentenstraße, kurz bevor man die Isar überquert, steht das stattliche, 1909 für die exquisite Privatsammlung des Adolf Friedrich Grafen von Schack errichtete Gebäude. Dieser war ein Tausendsassa: Als Jurist ausgebildet, später in diplomatischen Diensten stehend, galt seine große Liebe der Kunst, der Poesie, der Literatur, dem Reisen und den Sprachen. Als Gelehrter, Sammler und Mäzen ging er in die Geistesgeschichte ein. Bereits als junger Mann sprach er Italienisch, Spanisch, Englisch und begann mit dem Erlernen orientalischer Sprachen wie dem Persischen. Noch während seines Studiums pflegte er rege Kontakte unter anderem zu Clemens von Brentano, Achim von Arnim, Ludwig Tieck und August von Platen und erkundete in ausgedehnten Reisen Europa von Spanien bis in die Schweiz, von Frankreich bis Sizilien und weiter bis Ägypten. Nach etlichen Stationen einer glänzenden politischen Laufbahn quittiert er den Staatsdienst, um sich ganz seinen Leidenschaften zu widmen. 1854 übersiedelte Schack nach München, wo er sich in einem heute nicht mehr erhaltenen prächtigen Palais an der Briennerstraße niederließ. Maximilian II. hatte ihn nach München berufen. Die bayerische Residenzstadt sollte nach dem Willen des Königs zu einem „Weimar des 19. Jahrhunderts“ werden. Erst in der Isarstadt entdeckt Schack seine Liebe zur zeitgenössischen Kunst, der er bislang eher skeptisch gegenüberstand. Der Schweizer Arnold Böcklin wird einer seiner Favoriten, mit Franz von Lenbach kann er seine große Begeisterung für die italienische Kunst mit der Gegenwart verbinden. Auf Kosten und im Auftrag Schacks bereist Lenbach 1863 Italien, um dort Kopien großer Meister anzufertigen. Und so kommt es, dass man in einem Museumsgebäude in Bayern auf Bellinis Frari Triptychon, Tizians Venus von Urbino und seine Pesaro Madonna oder Velazquez‘ Porträt Philipps IV. trifft. Was uns Heutigen befremdlich anmutet, muss aus dem Geist der Zeit verstanden sein. Kopien waren noch nicht mit dem schlechten Ruf behaftet, den sie heute haben. Sie vermittelten damals die Größe des Kunstwerks auch im Abbild. Zudem hatten sie in der Galerie des Grafen die didaktische Funktion Alte und Neue Meister gegenüberzustellen. Es war eine Sichtweise, die zu jener Zeit groß in Mode war, wie man wiederum in München auch an mehreren Stellen erkennen kann: der Alten wurde die Neue Pinakothek gegenübergestellt; die Glyptothek ergänzte auf der anderen Königsplatzseite ein Ausstellungsgebäude für moderne Kunst und Gewerbe. Intention dieses Vorgehens war die Überzeugung, dass sich die Kunst der Gegenwart nicht vor der Größe der Vergangenheit verstecken müsse. Die Augen sollten dem Publikum geöffnet werden für die Gleichrangigkeit der modernen Kunst gegenüber den Meisterwerken früherer Zeiten. Die Selbstverständlichkeit mit der heute zeitgenössische Kunst museal präsentiert wird, war damals ein Novum. Neben der Neuen Pinakothek Ludwigs I. war Schack mit seiner Galerie ein absoluter Vorreiter dieser Praxis.

 

Wie es bis heute für Privatsammler typisch ist, ließ auch Schack sich bei seinen Ankäufen vom eigenen Geschmack leiten. Streift man durch die an diesem Sommertag menschenleeren Räume, erkennt man sehr schnell, für wen des Grafen Herz geschlagen hat. Der eigentlich etwas zu spät geborene Romantiker Moritz von Schwind darf in idealen Reiseerinnerungen und Märchenwelten schwelgen. Der stets so wunderbar skandalöse Böcklin droht verschmitzt mit Ziegenbock, Pan und Nereide. Anselm Feuerbach verführt edel und ernst ins klassisch strenge Italien der Zeit Dantes. Spitzwegs Hypochonder hält zwar die vielleicht erkrankte Nase in die Luft, lässt die Augen aber zum jungen Mädchen im gegenüberliegenden Haus schweifen.

 

Ein großartiges Beispiel für den vorherrschenden Stilpluralismus ist der berühmte Hirtenknabe von Franz von Lenbach. Hier ist ein vom Lande stammender Realist tätig, der noch weit entfernt scheint vom späteren Malerfürsten und Kopisten alter Meister. Die Freiheit und Vielfalt der Ausdrucksmöglichkeiten stellt nicht nur ein Merkmal des 19. Jahrhunderts dar, sondern manifestierte sich auch in vielen einzelnen Künstlerbiografien. Gemeinhin gilt dieses Bild als heimlicher Star der Sammlung. Nahezu lebensgroß hat sich der Junge in raffinierter Perspektive auf den kargen Boden gelegt und blinzelt nun in Rückenlage äußerst entspannt dem Sonnenlicht entgegen, das er mit der einen Hand jedoch von den Augen abschirmt. Zart schwebt ihm ein kleiner Schmetterling entgegen. Ruhig und mit sich und der Welt zufrieden scheint der kleine Hirte in der Mittagssonne zu dösen. Man möchte ihn nur ungern stören. Lange hat Lenbach an dem Bild gefeilt, um genau diese Stimmung zu erzeugen. Das sandige Beige des Bodens, die Tiefe des Himmelsblaus sind erst nach und nach entstanden. Vielleicht ist auch das ein Geheimnis großer Kunst, dass die Leichtigkeit der Erscheinung nur durch unsichtbare, ernsthafte Bemühung entsteht.

 

Wie schön, dass diese Sammlung nie verändert, aufgelöst oder zu späterer Zeit ergänzt wurde. Sie durfte sogar, obwohl testamentarisch in das Eigentum des deutschen Kaisers übergegangen, als Zeichen einer politischen Freundschaftsgeste in München verbleiben. So hat sie ihren zutiefst individuellen Charakter behalten, der neben all den Kostbarkeiten der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts von der offensichtlich so großen liebenswerten Sehnsucht ihres ehemaligen Besitzers erzählt. In den Räumen hängen – wie kleine, unerwartete Fensterausblicke – italienische Landschaftsgemälde. In unterschiedlichen Variationen und Formaten, mit Motiven, die vom eleganten Norden Venedigs bis zum wilden Süden Siziliens erzählen, zeugen sie von der großen Liebe Schacks für dieses Land, dem man vielleicht in München ein bisschen näher sein kann als andernorts nördlich der Alpen.

 

https://www.pinakothek.de/besuch/sammlung-schack

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